Unterwelt
windschiefen Hütte hinterm Haus an der Kette lebte. Richard fand diesen Hund weniger gefährlich, als er angeblich sein sollte. Richard fand, daß Bud diesen Hund vor allem wegen des pubertären Prickelns hielt, ein Tier an der Kette zu haben, das er ganz nach Lust und Laune füttern oder verhungern lassen konnte.
Ihm fiel ein, daß er vergessen hatte, seinem Dad zwei Glas Wasser zu der blaugelben Kapsel zu geben, trotz der fettgedruckten Aufforderung auf dem Etikett der Packung. Diese kleinen Versäumnisse nagten an seinem Selbstbewußtsein, obgleich er wußte, daß sein Vater selber schuld war, wenn er es nicht schaffte, seine Medikamente allein zu nehmen, oder seine Mutter, wenn sie gebraucht wurde und nicht da war. Ständig gab es kleine Kriege darum, wer Schuld hatte, ständig hieß es, Na gut, tut mir leid, und, Wenn er doch endlich Schluß machen und sterben würde, alles in Richards Kopf.
Er machte den dämlichen Witz, an Buds Tür zu klopfen und zu sagen: »Polizei, Dezernat Alkohol, Tabak und Waffen!«
Nichts passierte. Er trat ein und sah Bud in einem großen, offenen Raum, wie er gerade eine 6ox8o-Platte zersägte, die er über zwei Bänke unterschiedlicher Höhe gelegt hatte. Das Haus bestand immer noch weitgehend aus Außenwänden, obwohl sich Bud seit vielen Monaten in einem zielstrebigen Kampf abrackerte, der für Richard weniger damit zu tun hatte, ein Haus auszuweiden und neuzugestalten, sondern eher damit, irgendein verhaßtes Phantom zu vernichten, vielleicht Buds frühere Drogenabhängigkeit, und zwar ein für allemal.
»Dein Telefon ist gestört«, sagte Richard. »Ich dachte, ich komme mal raus, um nachzuschauen, ob alles, na ja, in Ordnung ist.«
»Warum soll irgendwas nicht in Ordnung sein?«
»Ich hab's der Telefongesellschaft gemeldet.«
»Ich hab nur einen Eindruck beim Telefon.«
»Manchmal können sie das Problem vom Amt aus beseitigen.«
»Es bringt mehr Kummer als Freude.«
Endlich sah Bud hoch und bemerkte seine materielle Anwesenheit.
»Es bringt menschliche Stimmen in dein Leben, auf die du gar nicht vorbereitet bist.«
Richard blieb in der Nähe der Wände, fuhr mit den Handflächen über die gehobelten Fensterbänke, untersuchte die Klammern, mit denen Plastikplanen an den Fensterrahmen befestigt waren. Leere Ablenkung, die den Schmerz gewöhnlichen Geredes in Schach halten soll.
»Ich lege Parkett rein«, sagte Bud. »Fischgrät vielleicht.«
»Wird bestimmt gut.«
»Wehe wenn nicht. Aber wahrscheinlich pack ich's gar nicht.«
Das Geräusch des Windes an den Plastikplanen war nervtötend. Richard fragte sich, wie ein ehemaliger Drogensüchtiger den ganzen Tag bei diesem Knattern und Ploppen arbeiten konnte. Die Planen ploppten nach draußen, klatschten und knatterten. Crack-Kokain betrügt das Hirn so lange, bis es glaubt, Rauschgift täte ihm gut.
Er überlegte, was er sagen sollte.
»Weißte, Bud. Nächste Woche werde ich zweiundvierzig Jahre alt. Donnerstag in einer Woche.«
»Das kommt vor.«
»Und ich fühl mich höchstens halb so alt, eigentlich.«
»Na weil, ist doch klar warum, so wie du lebst.«
»Was meinst du damit?«
»Bei deinen Eltern«, sagte Bud.
»Die kommen nicht allein zurecht.«
»Wer denn? Frag ich dich.«
Bud schmiß die eine Hälfte des abgesägten Holzes in eine Ecke. Er musterte die andere Hälfte, als hätte sie ihm gerade jemand auf einer belebten Straße in die Hand gedrückt.
»Was?« fragte Richard. »Riechen die nicht?«
»Was?«
»Alte Leute. Wie saure Milch.«
Richard hörte die Plastikfenster ploppen.
»Ist mir noch nicht aufgefallen.«
»Ist dir noch nicht aufgefallen. Na schön. Du willst dich so alt fühlen, wie du bist. Such dir eine Frau. Damit schaffst du's. Schrecklich, aber wahr. Eine Frau ist das einzige, was Typen wie uns retten kann. Aber jünger fühlst du dich dadurch nicht.«
Richard zappelte fröhlich in seiner Ecke herum. Ihm gefiel die Vorstellung, in die weibliche Rettung mißratener Männer einbezogen zu sein.
»Wo ist sie?«
»Hat zur Zeit Spätschicht.«
Buds Frau arbeitete am Fließband bei Texas Instruments, montierte Mikrochips auf Schalttafeln, sagte Bud, für die Datenautobahn. Richard glaubte, er sei halb in Buds Frau verliebt. Es war ein Gefühl, das kam und ging, geheim und irgendwie halb lächerlich, als bestünde sein Herz aus einem Baumwollmaterial. Falls Aetna jemals etwas von seinen Gefühlen schwanen sollte, was würde sie denken? Die Angst, die auf dieser Frage lastete, ging
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