Unterwelt
Kinder, die sich daraufhin ein bißchen entspannten. Ich griff nach hinten und bekam ein Stück Kaugummi von Lainie. Heute vor zwei Jahren, und natürlich wußte Marian das und wir nicht, ich nicht, ich hatte es mir nicht gemerkt, und ich war erleichtert und die Kleinen auch, denn jetzt gab es wenigstens einen Grund, wenigstens war es jetzt nicht so ein Fall, wo die Eltern sich komisch verhalten und die Kinder lernen, jeden Ausdruck aus ihrem Gesicht verschwinden zu lassen.
Sie strahlte, sie leuchtete in ihrem Weinen, sie lächelte sogar, glaube ich – ein Lächeln, das ein Zusammenzucken war, aber auch ein echtes Lächeln, in dem irgendwo auch ihre Mutter steckte.
Nach einer Weile fingen die Kinder an zu singen.
Und ich war erleichtert, ich war verdammt froh, denn ich hatte dagesessen und gedacht, ich bin schuld, oder, wer weiß, vielleicht tut sie's ja die ganze Zeit, denn woher zum Teufel soll ich wissen, was läuft, wenn ich nicht zu Hause bin.
Und die Kinder sangen: »Neunundneunzig Flaschen Bier an der Wand, neunundneunzig Flaschen Bier, und fällt dir eine Flasche aus der Hand, achtundneunzig Flaschen Bier an der Wand. Achtundneunzig Flaschen Bier an der Wand, achtundneunzig Flaschen Bier.«
Sie sah mich an und sah auf die Straße, und die Kinder sangen weiter, zählten immer weiter zurück bis eins, während Marian fuhr – weinte und fuhr.
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Manx Martin 2
D er Hausmeister kommt auf ihn zugehumpelt. Bevor er fünf Schritte weit gegangen ist, kommt der Hausmeister von einem Haus weiter hinten auf ihn zugehumpelt, mit seinem typischen Hüftschlingern, das den halben Bürgersteig einnimmt.
»Hab schon nach Ihnen gesucht«, sagt der Mann.
Manx Martin steht mit verschränkten Armen da, macht sich erst mal nicht die Mühe, den Kopf schief zu halten – bißchen früh für überlegene Gesten.
»Sie ha'm nicht die Schaufeln gesehn?«
»Was für Schaufeln?« fragt Manx.
»Die fehlen nämlich aus'm Keller.«
»Dauernd fehlt was. Grad neue Socken gekauft, schon fehlen sie in der Wäsche.«
»Zwei Schneeschaufeln aus dem Gerätekeller, ha'm heute morgen noch an der Wand gelehnt.«
»Schnee angesagt?« fragt Manx.
Und schaut gen Himmel. Finden Sie, das sieht nach Schnee aus? Find ich nich. Ha'm die Schnee angesagt?
»Mittags schon weg, schwupps durch die Tür. Und jetzt frag ich die Straße rauf und runter.«
»Sie sollten mal vorsichtiger sein, wen Sie fragen. Gibt nämlich Leute, die sind ganz schön sensibel bei so was.«
»Ich frage Sie, weil ich so Sachen gehört hab.«
Der Hausmeister trägt ein dünnes Hemd bei dieser Kälte. Manx riecht den Wechsel der Jahreszeit, die durchdringende Feuchtigkeit und den schneidenden Wind, und der Mann steht hier mit hochgekrempelten Ärmeln rum, auch schon in vorgerücktem Alter, der Hausmeister, bißchen weiß gesprenkelte Stoppeln.
»Hat mir einer ganz von sich aus erzählt«, erklärt er Manx. »Red mal mit dem Klepto.«
»Das sagen Sie mir ins Gesicht.«
»Ich sag nur, was ich gehört hab.«
»Von wem haben Sie das gehört?«
»Und ich sage Ihnen, diese Schaufeln sind gutes Geld wert. Das ist Werkzeug, das brauche ich für meine Arbeit. Von wegen der scharfen Kante, verstehen Sie. Versuchen Sie mal, Schnee mit 'ner Kohlenschaufel zu schippen.«
Manx ist überrascht vom Auftreten des Hausmeisters, es bringt ihn etwas aus dem Gleichgewicht. Der scheint fest entschlossen. Dabei sollte das ein Problem des Hausbesitzers sein. Wieso läuft der Alte hier rum und spielt die Spürnase? Soll doch der Besitzer in die Tasche greifen und die Dinger ersetzen. Bei dem hängen die Taschen so tief, daß er sich die Knie am klimpernden Kleingeld verschrammt.
An der Ecke steht einer und predigt in den Wind.
Manx ist auch überrascht von den Unterarmen des Hausmeisters. Da steckt ganz schön Kraft drin, immer Mülltonnen wuchten, klar, der rollt die Dinger schräg übers Pflaster.
»Ich glaube, Sie sehen die Sache falsch rum«, sagt Manx. »Wir sehen in diesem Block doch ständig, wie in Häusern geklaut wird, nicht wie Schaufeln geklaut werden. Links und rechts wird eingebrochen.«
»Ich sag Ihnen ja nur, was ich gehört habe.«
»Und ich sag Ihnen, Sie sollten Ihre Zeit lieber damit zubringen, mal dadrauf zu achten. Die Türen mit Eisenstangen verstärken und so.«
»Wenn ich rausfinde, daß Sie das mit den Schaufeln waren, geh ich zum Hausbesitzer, und dann stehst du auf der Straße, Freundchen.« Verdammt großkotzig für'n Krüppel. »Der hört nämlich
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