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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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an den Hosenbeinen an, wie eine Uniform, die ein kleiner Junge beim Soldatspielen erfunden hat. Er hat etwas Dünnschädeliges an sich, sein Kopf ist nackt und äderig und papiern. Ein Mann mit einer französischen Mütze, einem schwarzen Barett, hört interessiert zu, und zwei Frauen in Schwesternklamotten, Schwester Dingsbums von der Kirche in der Ladenwohnung, nett, Sie kennzulern, mit Servietten auf dem Kopf und Runzelgesichtern.
    »Keiner weiß den Tag oder die Stunde.«
    Zwei Männer im Anzug und ihre gutgekleideten Frauen, die Männer wollen zuhören, die Damen sagen nein danke – mit Kakerlakengeschichten haben sie nichts am Hut.
    »Jagen die Russen auf der andern Seite der Welt ne Atombombe in die Luft. Hört ihr immer das Neuste im Radio? Ich werd euch das Neuste sagen. Klar und deutlich bis ans andre Ende der Welt. Und ihr steht da und sagt, uns doch egal. Alter Hut, sagt ihr. Geht nur die Generäle und die Diplomaten was an. Aber jetzt in diesem Augenblick, während ich rede und ihr zuhört, plant die Regierung überall in der Stadt Luftschutzkeller. Luftschutzkeller für fünfundzwanzigtausend Menschen unter den Straßen dieser Stadt. Und ratet mal, was ihr nicht in den neusten Nachrichten hört. Da müßt ihr schon im Wind stehen und es von mir hören . J eder einzelne, der in diesen Luftschutzkellern steht, während es draußen Bomben regnet, ist ein Weißer. Ich rede mit euch. Weil nicht ein einziger Luftschutzkeller in Hadem gebaut wird. Also schön. Es werden welche auf der Upper East Side gebaut und am unteren Ende der Sixth Avenue. Und natürlich wird auch die 42. Straße hübsch unterkellert. Und draußen in Queens dasselbe. Die Wall Street wird tief und trocken unterkellert. Und wenn's Atombomben regnet, was sollt ihr dann machen? Einen Bus Richtung Innenstadt nehmen?«
    Manx muß leicht grinsen.
    Eine junge Frau steht mit ihrem Freund da, und sie sagt: »Der ist ein Aufwiegler, komm, wir gehen.«
    Das Argument des Mannes leuchtet Manx ein, auch wenn es ein bißchen weit hergeholt ist. Das Argument überzeugt ihn, weil es jedes kleine Tu und Laß seines Alltags ins Millionenfache multipliziert.
    Sie sagt: »Der ist ein Aufwiegler, komm, wir gehen.«
    Aber mit all dem Tu und Laß hat er zu leben, nicht mit der Wochenschau im Kino an der Ecke, mit dem Hahn am Anfang, der Kikeriki macht.
    Der Mann redet immer noch, steht aufrecht da mit einer peitschenhaften Krümmung im Körper, und sein Kopf sieht aus wie ein angebrütetes Ei voller Adern, und drei Kinder sausen vorbei, und sein Gesicht ist so nackt, daß man meint, man hätte ihn sein Leben lang gekannt, eng zusammengeklammerte Hosenbeine, und ein paar Kinder sausen vorbei.
    »Wo is'n dein Fahrrad, Mann?«
    Und ihr Freund hat seine Mütze tief ins Gesicht gezogen, rührt sich nicht vom Fleck, und sie sagt: »Der ist ein Aufwiegler, komm, wir gehen.«
    Der Mann schwenkt den Kopf hin und her, um irgendeinen Blick aufzufangen.
    »Sie sagen, zahlt keine Miete mehr. Ich sage nicht, zahlt keine Miete mehr. Ich sage nicht, jagt Gas und Strom, Kraftwerk und E-Werk in die Luft. Sie sagen, bringt die Hausbesitzer um die Ecke. Ich sage nicht, bringt die Hausbesitzer um die Ecke oder stellt sie an die Wand. Ich sage, holt einen Dollarschein aus der Tasche, wo er verkrumpelt drinsteckt, weil ihr ihn für dies oder das gespart habt. Faltet ihn auseinander und schaut euch mal die Rückseite an, da haben sie ihre Geheimbotschaften stehen. Da haben sie ihre lateinischen Worte und römischen Zahlen stehen.«
    Und der Mann holt einen zusammengeknifften Schein aus seiner Tasche und entfaltet ihn wie bei einem Zaubertrick, und dann wedelt er der Gruppe vor ihm mit dem Geld im Gesicht herum.
    »Seht ihr das Auge, das da über der Pyramide hängt? Was hat eine Pyramide auf amerikanischem Geld zu suchen? Seht ihr die Zahl, die dick und breit am unteren Rand der Pyramide steht? So schicken die sich nämlich gegenseitig ihre Freimaurerbotschaften zu. Das ist Freimaurerzeug, Losungen und Händeschütteln. Das ist Rosenkreuzerzeug, der Lichtstrahl. Ein Netz, ein Gekritzel überall auf dem Schein, vorne und hinten, da steckt eine Botschaft drin. Das ist nicht bloß Gefasel und gekochte Spaghetti. Die sagen den Tag und die Stunde voraus. Die teilen sich gegenseitig mit, wenn die Zeit gekommen ist. Die Antwort findet ihr nicht in der Bibel und nicht in der Verfassung. Ich rede mit euch. Ich sage euch, auf dem gewöhnlichsten Stück Papier in eurer Tasche steht Geschichte

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