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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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auf mich.«
    Die meisten Hausmeister hier in der Gegend arbeiten nicht fest, sind mal im einen, mal im anderen Viertel, kommen und gehen, immer einen Schritt Vorsprung vor irgendwas. Aber der Mann hier gräbt sich ein wie die Infanterie.
    »Sie und ich, wir brauchen unsere Zeit nicht mehr verschwenden«, sagt er. »Wenn Sie vor meiner Tür stehen, eine Schaufel in der rechten, eine in der linken Hand, dann höre ich mir an, was Sie zu sagen haben.«
    Manx hält den Kopf schief, kneift die Augen in gespielter Konzentration zusammen. Er will den Mann niederstarren, auf seinen Platz verweisen.
    Aber der Hausmeister schiebt sich an ihm vorbei. Manx beugt sich zu ihm vor, ganz nah, aber der schiebt sich einfach vorbei, unbeholfen, jeder Schritt eine Verrenkung, eine Mühsal, und Manx ist wieder sprachlos – gerade wollte er eine größere Erklärung abgeben.
    Er geht zur Amsterdam Avenue rüber. Drei Kinder sausen in einem Affenzahn vorbei, und er sieht Franzo Cooper in Schlips und Kragen neben dem Schuhmacherladen stehen.
    »Wer gestorben? Bist ja so aufgedonnert, Franzo.«
    Beim Sprechen dreht er sich um, will einen letzten Blick auf den Hausmeister werfen, weiß auch nicht recht warum, vielleicht um einen Strahl Böses auf ihn abzuschießen.
    »Irgenwo mein' Bruder gesehen?« fragt Franzo.
    Er trägt einen Hut mit einer kleinen Feder im Band, und seine Schuhe glänzen wie beim Militär. Der Neon-Schuh oben hat keinen Saft mehr.
    »Ich will zu Tally's.«
    »Falls du ihn siehst, sag ihm, ich brauch seinen Wagen.«
    »Wer is'n gestorben, Franzo?«
    »Ich muß nach Jersey zu 'ner Braut. Sonst sterb ich. Und du, wie läuft's?«
    »Mäßig.«
    »Ich sterb noch an der Liebe, Mann. Sag ihm, er soll seinen Schrotthaufen hier rüberschaffen. Würd sich auch für ihn lohnen.«
    Da ist die Kosmetikschule, der Schuhmacher, die möblierten Zimmer, und über der Tür vom Schuhmacher hängt ein Herrenschuh, und Manx sieht, daß das Neon dunkel und kalt ist, das zieht ihn ein bißchen runter, die Laune sackt 'ne Spur weg.
    Der Verkehr stoppt und rollt an der Ecke, rollt in die Nacht hinaus, und vor dem Schweinerippchenladen steht ein Mann und predigt. Drei oder vier Leute bleiben eine Minute stehen, kriegen mit, worum es geht, bleiben noch eine Minute da und gehen wieder, wo sie halt hingehen, und zwei, drei andere kommen und hören zu und gehen wieder, und die Autos fahren vorbei, die Ampel springt um, und die Autos fahren weiter.
    Der Prediger sagt: »Die sagen, daß nur Insekten überleben.«
    Er ist ein alter Mann mit einem hungrigen Kopf und geäderten Schläfen, und seine Hände ragen aus den Ärmeln. Seine Jackenärmel sind so eingelaufen, daß man bis zu seinen Handgelenken hochgucken kann. Lange, flache Finger markieren seine Worte, Fahrradklammern an der Hose.
    Drei Kinder sausen vorbei, als würden sie von hier flüchten.
    »Das sagen sie, und ich glaube ihnen, denn die haben darüber studiert. Von allen Kreaturen, die Gott auf der Erde ausgesetzt hat, überleben bloß Insekten die Strahlung. Die lassen den Kakerlak von Wissenschaftlern studieren, jede Sekunde, die er lebt. Wenn er schläft, beobachten sie ihn. Er kommt aus einer Ritze in der Wand, und da sitzt ein Mann mit einer Lupe, der auf ihn wartet, seit es hell geworden ist. Ich glaube denen, wenn sie sagen, daß die Insekten auch noch da sind, wenn Atombomben die Häuser plattmachen, die Menschen ausradieren und die Vögel und die Tiere töten und die Hunde und Katzen verkastrieren, damit sie ihre Jungen nicht mehr fortpflanzen können. Ich glaube ihnen von vorne bis hinten und von oben bis unten. Aber ich hab ihnen auch was zu sagen. Ich weiß es schon früher als sie. Wir alle wissen das, jeder, der jetzt hier steht, denn wir sind alte Kämpfer aus einer besonderen Gegend. Brauchen wir einen, der uns erzählt, wie die Insekten den großen Knall überleben ? Wissen wir das nicht schon, seit wir das Licht der Welt erblickt haben? Ich rede mit euch. Keiner hier braucht wissenschaftliche Beweise, daß Insekten die letzten lebendigen Wesen sind. Die sind schon ziemlich nahe dran. Wir kratzen pausenlos ab, und die Kakerlaken krabbeln immer noch die Wände rauf und kommen aus den Ritzen.«
    Manx späht in die andere Richtung zurück. Er hätte gern noch einen Blick auf den Hausmeister geworfen, seinem Groll Zucker gegeben.
    Leute bleiben stehen, um mitzukriegen, was der Prediger erzählt, sechs oder sieben stehen im Wind. Manx schaut sich den alten Mann mit den Klammern

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