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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Projekt, wie immer sie es nannten – und um, falls möglich, Klara Sax kurz Hallo zu sagen.
    Ich sagte ihm, ich wolle ihnen keinen Platz wegnehmen, und er beschrieb mir den Weg zu einem Motel, wo ich über Nacht bleiben konnte, etwa fünfundzwanzig Meilen entfernt, dann schlug er vor, wir könnten uns später an einem Ort treffen, den er das Farbenlager nannte.
    Ich wusch mir die Sonnencreme von Händen und Gesicht und stellte mich fürs Essen an, Sandwiches und Kiwis und Fruchtsaft. Dann setzte ich mich hin und redete mit fünf oder sechs anderen. Alle nett. Ich fragte nach dem Taxi, und sie sagten, es sei das Auto einer Freundin, sie hätten es angemalt und verziert, ein Geschenk für Klara zu ihrem Geburtstag vor ein paar Tagen. Nicht das Auto selbst, das hatte seine Besitzerin in taxifizierter Form zurückbekommen, sondern der Anstrich, die Geste, die Anspielung auf New York, die Stadt von Klaras Vorfahren.
    Sie fragten, woher ich sei, und ich antwortete mit einem Spruch, den ich manchmal benutzte.
    Ich lebe ein ruhiges Leben in einem bescheidenen Haus in einem Vorort von Phoenix. Pause. Wie einer aus dem Zeugenschutzprogramm.
    Inzwischen hing mir der Spruch zum Hals heraus, aber mit seinem offenkundig oberflächlichen Ton schien er mir die Neugier etwas zu entschärfen. Die ganze Zeit, während wir sprachen, schaute ich mich nach der Taxifahrerin mit dem honigblonden Haar um.
    Eine paar Leute trugen T-Shirts mit der Aufschrift Long Tall Sally.
    Ich glaubte, Klaras Alter auf ein, zwei Jahre genau einschätzen zu können, und als ich fragte, welchen Geburtstag sie denn gefeiert habe, sagte jemand zweiundsiebzig. Das klang in etwa richtig.
    Es war eine klare Nacht mit Sternenwirbeln, die tief und nah glommen, eine süße Brise strich über die Erde. Ich fuhr ungefähr anderthalb Minuten – nicht zu Fuß gehen, hatten sie gesagt – und folgte einer Reihe Straßenreflektoren, die im Boden staken. Dann kamen aufgehängte Lampen, eine Ansammlung von Jeeps und Kleinbussen und ein einzeln stehender langer, etwa drei Meter hoher Betonbau, der Länge nach in ein Dutzend zimmergroßer Abteile gegliedert, vorn und hinten offen.
    Das war das Hauptquartier, von wo aus die Bereiche des Projekts koordiniert wurden – Entwürfe entwickelt, Tagesaufgaben zugeteilt, die meisten Materialien gelagert.
    Einer der Räume war voller Menschen, und ich erspähte einen Mikrofongalgen, der über die vielen Köpfe ragte. Scheinwerfer, eine Kamera, eine Frau mit Klemmbrett – und Zuschauer von der Arbeitstruppe, vielleicht vierzig, einigen baumelten Gesichtsschutzmasken auf der Brust, viele trugen Hemden oder Jacken mit der Aufschrift, die ich zuvor schon gesehen hatte. Ich parkte in der Nähe und ging bis zum Rand der Gruppe. Es dauerte einen Augenblick, bis ich die Hauptperson entdeckt hatte. Sie saß auf einem Regiestuhl, einen Gehstock neben sich, und hatte ein Bein auf einen umgestürzten Eimer gelegt. Sie rauchte eine schwarze Zigarette und unterhielt sich, während die Filmcrew aufbaute.
    Jetzt, da ich nur noch ein Wort entfernt war oder zwei, einen Namen entfernt, spürte ich beklommen, wie seltsam dieser Abstecher war. Siebzehn. So alt war ich gewesen, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte Ja, so lang war es her, und nach all dieser Zeit empfand sie mich vielleicht als einen Eindringling, eine Gestalt aus einem Angsttraum, die wandelnd und redend durch die Wildnis kam, um sie zu finden. Ich stand da und sah zu, versuchte die Willenskraft für den ersten Schritt aufzubringen. Noch seltsamer, noch beklemmender als die Jahre zwischen den Begegnungen war vielleicht, daß ich sie im Rückblick sehen konnte. Ich konnte dem Stuhl die jüngere Frau entlocken, sie trennen von der Person in den dunklen Schottenkarohosen und dem alten Wildlederblazer, die redend und rauchend dasaß. Ich hatte Fotos von Klara gesehen, aber die Frau, der ich begegnet war, nie so recht darin erkennen können, jene kerzengerade, blasse Frau mit dem kleinen Zucken um den Mund, dem gekräuselten Mund, wodurch sie sich von dem, was sie sagte, zu distanzieren schien. Mit den ausweichenden Augen, dem Blick, der die Frage abzubiegen schien, was wir eigentlich voneinander wollten.
    Sie sah berühmt und sonderbar aus, berühmt sogar für sich selbst, berühmt, wenn sie sich alleine in ihrer Küche einen Salat machte. Ihr Haar war weiß, ein mineralisches Glitzern, kurzgeschoren, mit einem schmucken Pony in der Stirn umgab es ihr ovales Gesicht. Sie trug ein

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