Unterwelt
schlabbriges oranges T-Shirt unter dem Blazer und eine Halskette und mehrere Ringe und einen weißen Joggingschuh und eine Socke in der Farbe von Kool-Aid – Traubenlimonade. Der verletzte Fuß war mit einer gelbbraunen elastischen Binde umwickelt.
Jemand kam mit einem Pappbecher vorbei, und sie versenkte ihre Zigarette darin.
Sie hatte sich etwas dunkles Rouge hoch auf die Wangen gerieben, wodurch sie streng, ja, beklemmend totenähnlich aussah. Aber ich konnte die jüngere Frau erkennen. Ich konnte sie mit einem Trick des Geistes erstehen lassen, bis sie den von mir vorbereiteten Raum einnahm, leicht geschlitzte Augen und papierne Hände und wie sie im stillen ungläubig darüber lächelte, daß wir zusammen waren, und wie sie sich mit zeitlicher Verzögerung fortzubewegen schien – der Geist passiert die Stechuhr, und der Körper folgt.
Ich beobachtete sie. Diese ersten dreißig Sekunden waren von geballter Kraft. Ich konnte spüren, wie ich anders atmete.
Die Crew kam vom französischen Fernsehen, und sie war jetzt startbereit. Die Zuschauer verstummten. Die Frau mit dem Klemmbrett hockte sich auf die Stelle, von wo sie das Interview aus dem Off führen würde. Eine gertenschlanke Mittvierzigerin mit Strähnchen im Haar und Jeans im »Used«-Look, zu ihren Füßen eine Einkaufstasche aus Jeansstoff mit gespreizten Henkeln.
Sie sagte: »Es geht gut, wenn wir jetzt anfangen, denke ich. Ich darf dumm sein, weil wir schneiden meine Fragen aus dem Film. Das sind die Regeln, okay? Ich stolpere durch mein Englisch, kein Problem.«
»Aber ich muß klug, witzig, tiefsinnig und charmant sein«, sagte Klara.
»Das wäre allerdings sehr nett. Wir fangen an mit der Verletzung von Ihrem linken Bein. Sie können uns erzählen, was passiert ist, okay?«
»Ich bin von einer Leiter gefallen. Überhaupt nichts Ernstes. Hab irgendwo unterwegs eine Sprosse verpaßt. Wir benutzen alles, was uns in die Finger kommt. Wir haben kein Dach über dem Kopf, keine Halle, keine Fabrik. Wir haben keine Gerüste, keine Plattformen wie in den Montagehallen, wo gebaut und repariert wird.«
Ich rückte näher heran und stand schließlich gut einen Meter hinter dem Studenten mit dem »Welcome«-Button, dem jungen Mann, der angeboten hatte, mir ein Zimmer zu besorgen.
Die Interviewerin sagte: »Also Sie klettern, Sie arbeiten.«
»Ein verstauchter Fuß. Ein Aspirin, fertig. Ja, manchmal klettere ich da hoch, wenn es nicht zu heftig wird, wenn die Hitze zu ertragen ist, wissen Sie. Ich muß es sehen und spüren. Wir haben viele leistungsfähige Freiwillige. Aber ab und zu muß ich mich selber hineinstürzen.«
»Heute abend ich war zum ersten Mal auf dem Gelände, und ich habe viele Leitern gesehen und Leute, die auf den Flügeln herumkriechen. Sie tragen Masken. Sie haben auf den Rücken geschnallt solche riesengroßen Flaschen.«
»Wir haben automatische Farbspritzen, um das Metall zu grundieren. Wir haben industrielle Sprühpistolen, mit denen wir Ölfarben, Lack, Kunstharz und so weiter auftragen. Wir benutzen tragbare Preßluftgeräte. Wir benutzen sogar Pinsel. Wir benutzen Pinsel, wenn wir einen Pinselstricheffekt wollen.«
Die Zuschauer in der Menge bewegten sich ein wenig, versuchten, Klara besser zu sehen, während sie sprach, oder sich näher heranzuschieben, um das Gespräch deutlicher zu hören. Klaras Stimme war rauh und wacklig, schlabberflüssig wie etwas, das hin und her gluckert.
»Wir kratzen Farbe ab und sandstrahlen«, sagte sie. »Wir haben viele Sandstrahlgebläse mit Spritzen und Neun-Gallonen-Sandzylindern, ja, ich glaube, solche. Wir haben ein paar Druckgebläse, Riesendinger auf Rädern. Bei den meisten Flugzeugen ist nur eine Schicht Farbe zu entfernen, ursprünglich wurde beim Anstrich sehr auf das Gewicht geachtet. Mit anderen Worten, sie wurden gebaut, um Bomben zu tragen, nicht hübsche Farbschichten. Natürlich ist das eine unmögliche Arbeit. Draußen arbeiten, in Hitze, Staub und Wind. Vollkommen unmöglich. Bei zuviel Staub malen wir nicht. Bei wenig Staub ja. Uns geht es nicht um Präzision. Wir sprühen los, mit Körnchen und allem. Sprühen, schießen, werfen die Farbe.«
Sie sagte: »Natürlich sind die meisten Teile der Flugzeuge ausgebaut worden, alles, was sich noch nutzen oder an zivile Unternehmer verkaufen ließ. Aber die Räder sind noch dran, die Fahrgestelle, ich will keine Flugzeuge, die flach auf dem Bauch liegen. Deshalb brauchen wir eine Menge Gerüste, um am Rumpf und an der
Weitere Kostenlose Bücher