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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: nanu
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    Unweigerlich fiel mir ein, wie ich mir nach John Richard mein Herz vorgestellt hatte: ein Organ, das in Stücke ge ­ borsten war, ein zerrissenes, gespaltenes, nutzloses Ding. Mein Herz würde niemals heilen, war ich überzeugt; es würde für immer wie ein Tier am Straßenrand liegen, zer ­ schmettert und tot.
    Ach, reiß dich zusammen! Ich brachte den Motor auf Touren und schoss vom Straßenrand auf die Fahrbahn. Ein Abend mit Schulz musste wahrhaftig keinen derartigen Ge ­ fühlsausbruch auslösen. Du fährst nur zum Abendessen, Goldy. Damit wirst du fertig.

    Als ich in die befestigte Einfahrt zu sei ­ nem Haus einbog, kniete Schulz am Boden. Trotz des spinnennetzartigen Überzugs aus frischem Schnee grub er kraftvoll den Boden neben dem un ­ gleichmäßigen Bruchsteinweg um, der zu seiner Haustür führte.
    »Hi.« Ich kletterte vorsichtig mit dem Brotlaib aus dem Range Rover. Das Bild des überfahrenen Hirsches verfolgte mich immer noch: Ich traute meiner Stimme nicht zu, mehr zu sagen.
    Er drehte sich um und richtete sich auf. Feuchte Erd ­ klumpen klebten ihm an Jeans und Jacke. »Was ist los?«
    »Es tut mit leid, bitte, mach doch erst deine Arbeit fertig. Ich habe nur …« Meine Stimme schwankte. Verdammt. Die Worte sprudelten aus mir heraus; ich schüttelte den Kopf, entsetzt, wie erschüttert ich war. »Ich habe gerade ein totes Tier am Straßenrand gesehen, und es hat mich erinnert, wie … nein, nein, bitte«, sagte ich, als er auf mich zukam. »Bitte, mach erst deine Arbeit fertig.«
    Er betrachtete mich prüfend, ein Auge zugekniffen. Nach einem Augenblick kauerte er sich wieder hin. »Das wirst du nie wieder ganz los«, sagte er, ohne mich anzusehen. »Eine echte Leiche zu sehen ist nicht wie im Film.« Mit seinen großen, geschickten Händen griff er nach ein paar Blu ­ menzwiebeln und drückte sie sorgfältig in Abständen in den frisch umgegrabenen Boden. Die Löcher füllte er sanft mit Blumenerde aus einem Sack nach. Die Geste erinnerte mich daran, ein schlafendes Kind zuzudecken.
    Ich sog die kalte Luft in tiefen Zügen ein. Ich drückte das duftende Brot an mich. Obwohl ich eine Daunenjacke trug, fühlte ich mich, als habe das Blut in meinen Adern aufge ­ hört zu fließen.
    »Kalt?« fragte Schulz. »Sollen wir hineingehen?« Ich schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, dass du ihn finden musstest«, sagte er rau. Er drückte den Boden an, stand behende auf und legte den Arm um meine Schultern. »Komm, ich habe dir Nachos gemacht. Und dann musst du dir etwas ansehen.«
    Wir gingen durch seine geschnitzte Haustür und kamen in den großen, offenen Raum, den er als Wohnzimmer nutzte. Ich blieb stehen, um den Natursteinkamin zu be ­ wundern, der zwischen grob behauenen Holzpaneelen über zwei Stockwerke reichte. Auf dem Rost lagen sorgfäl ­ tig aufgestapelte Scheite Espen- und Kiefernholz. Auf einem Tisch im Shakerstil stand ein Topf, den Arch gegen Ende der sechsten Klasse getöpfert hatte. An einer Wand hing ein Holzschnitt von Arch, der eine 45er zeigte, wie Schulz sie trug. In einem kleinen Geschirrschrank aus ge ­ beizter Eiche standen Staffordshire-Teller und bayerische Gläser. Die spärliche Möblierung mit einem antiken Wasch ­ tisch und einem Schrank zwischen Sofa und Sesseln, die mit brauner Noppenwolle bezogen waren, ließ das Zimmer gemütlich wirken. Als ich Schulz bei meinem letzten Be ­ such Komplimente wegen seines guten Geschmacks ge ­ macht hatte, hatte er ohne Zögern geantwortet: »Na klar. Was meinst du, wieso ich dir den Hof mache?«
    Ich schob den Gedanken beiseite und kam in die Küche, als er gerade eine Auflaufform aus dem Backofen holte. Sie quoll über von brutzelnden Maischips, Chilibohnen und geschmolzenem Cheddarkäse. Ein raffinierter Duft mexi ­ kanischer Gewürze erfüllte die Luft.
    »Höllenqualen«, sagte ich, als er die Schüssel vor mir ab ­ stellte und mir das irische Brot abnahm. Aber ich lächelte.
    »Warte, warte.« Er kramte im Kühlschrank herum, nahm kleine Schälchen heraus und streute gehackte Frühlings ­ zwiebeln, Tomaten und schwarze Oliven über den ge ­ schmolzenen Käse. Mit schwungvoller Gebärde schwang er – tatsächlich! – einen Eislöffel und schöpfte ganze Berge sau ­ rer Sahne und Guacamole auf die Schüssel mit Maischips.
    »Nachos Schulz«, verkündete er mit stolzem Grinsen. »Dafür nehmen wir das gute Porzellan.« Er holte zwei wun ­ derschöne Limoges-Teller mit einem Muster aus winzigen,

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