Untitled
das Frühstück decken. Die Lampe mit dem honiggelben Schirm wird angeknipst und alles erscheint nun wie in einem flandrischen Gemälde erleuchtet. Es ist dies Licht und es ist die, ja: Friedlichkeit, die dieser Anblick ausstrahlt. Mir wird dagegen meine Aufgewühltheit so deutlich; mir wird in gewaltigen Buchstaben klargemacht, dass ich Frieden will, dass ich eine Pause brauche. Und dass ich mir diese Pause verdient habe. Ich habe wieder Tränen in den Augen, weil ich weiß, dass ich Julia meine mit dieser Pause. Ich weiß, dass ich erst Frieden haben werde, wenn ich mit Julia zusammenleben kann. Und das will ich unbedingt. Und zugleich ahne ich, dass es nicht leicht sein wird, das zu erreichen. Weil es kein Ziel ist, weil es keinen Weg dorthin gibt, sondern weil es geschehen muss. Und weinen muss ich wohl, weil ich überhaupt keine Ahnung habe, was ich denn nur dazu tun könnte, damit es geschieht.
Auf Flughäfen, sagt Katja. Beim Umsteigen, beim Warten auf einen Anschlussflug, wenn ein, zwei Stunden, manchmal auch viel weniger Zeit war, um sich kurz zu sehen. Maxim ist dann egal wohin gekommen – einmal sogar ins schreckliche Spanien, immer nur, nur um mich zu sehen. Damit wir uns sehen konnten, denn ich war ja nicht frei. Oder Zugfahrten, wenn ich zu einem Vortrag eingeladen war, manchmal auch nur in der S-Bahn vom Zentrum aufs Studiogelände – immerhin fast eine Stunde gemeinsam, nur wir. Wir haben uns in Zwischenräumen getroffen, wir haben die ganzen Jahre in dieser Zwischenwelt gelebt – irgendwann konnte ich keine Telefonzellen mehr sehen.
Sie sagt diesen Satz exakt so, wie Maxim einst zu mir. Aber es wirkt nicht, als sei er Bestandteil einer Anekdote – es bedeutet wohl den Punkt ihrer Übereinkunft, als ihre Gefühle deckungsgleich wurden. Mir ist bewusst, dass ich furchtbar aussehe. Katjas Gesicht sieht auch müde aus, aber da ist ein schwer zu beschreibender Zug von Zufriedenheit, nein: Abwesenheit von Traurigkeit. Sie wirkt stark im Gegensatz zu mir. Und sie ist es tatsächlich, denn als ich frage, warum Maxim nicht mit den Kindern aufgestanden ist, sagt sie: Das würde er gerne, aber er kann nicht, denn er braucht viel mehr Schlaf als ich. Sie sagt das ohne Bedauern. Sie bringt es so vor, dass das Bedauern dieser Situation auf seiner Seite erscheint. Sie hält eine Fürsprache und ich habe niemanden, der für mich sprechen kann.
Später am Tisch befragen sie mich in Gegenwart der schmausenden Kinder, wie es mir in den letzten Wochen ergangen ist, und sie tun es auf diese behutsame und mich ergreifend freundschaftliche Art, mitfühlend, ohne Seitenblicke auszutauschen, es gibt ihrerseits noch nicht einmal einen Impuls dazu, den sie unterdrücken müssten. Ich gebe zu, dass es schwer war. Schwerer als alles Schwere zuvor. Aber ich verschweige die Mengen an Betäubungsmitteln und Alkohol, ich verschweige die grässliche Einsamkeit, die in dem Zimmer im Goldenen Reiter lauert, die Unumgänglichkeit des Zimmerwirts und insgesamt die Zerknirschung, das schlechte Gewissen, das Gefühl der Unreinheit, das mich besitzt nach den Exzessen mit Erin und dem Zimmerwirt, die mir die durchwachten Stunden dort zwar nicht leichter gemacht haben, aber zumindest fühllos. Und ich bekomme gerade schon wieder ein schlechtes Gewissen, weil ich ausgerechnet vor den einzigen Freunden, die ich habe, derart wesentliche Ereignisse verschweige, aber es geht nicht anders. Da ist eine große Sperre. Es geht wirklich nicht. Ich habe eine unbegründete Angst davor, dass sie sich um mich Sorgen machen, dergestalt, dass ich entmündigt werde und in ein Krankenhaus eingeliefert (ich lasse ebenfalls unerwähnt, dass ich vorgestern in der großen Konferenz zuerst einen Heulkrampf bekam, um irgendwann ohnmächtig zu werden, was im Verlauf des Tages dazu geführt hat, dass der Betriebsarzt mich als dringenden Fall an eine Praxis für Radiologie überwies, wo im Wartezimmer lauter Leute mit Pandabäraugen in den bleichen Gesichtern herumsaßen und eine trübe Zuckersoße aus Plastikbechern schlürften und man mich dort in einen PET -Scanner schob, weil der Betriebsarzt wohl Grund zur Annahme hatte, mit meinem Gehirn sei etwas nicht in Ordnung – seitdem trage ich eine Packung violetter Schmerztabletten mit mir herum. Falls es akut werden sollte); um Entscheidendes schwerer als meine ständige Angst vor Entmündigung und einem für Verrückterklärtwerden wiegt meine Furcht, Katja und Maxim könnten aus meinem Verhalten schließen,
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