Untitled
um pharmazeutisch reines MDMA handelt, das Erin über ihren Kontakt bei Merck in der Schweiz beschafft hat. Julia schaut mich an mit einem Blick, der ihre Lust auf die substanzielle Erfahrung verrät. Sie hat es noch nie ausprobiert und fragt, was die Substanz bewirkt.
Schwer zu beschreiben. Ich schlage ihr vor, es einfach auszuprobieren. Unter dem Vorwand, mir rasch die Hände waschen zu gehen, schließe ich mich im Badezimmer ein, um Erin eine Nachricht zu schicken: Sag alles ab!
Wie es sich für eine echte Wissenschaftlerin gehört, hat Julia bereits ihren Kenntnisrückstand aufgegoogelt, als ich zurückkomme. Sie inspiziert die Waage – man darf nicht vergessen, dass diese schöne Frau einen silbernen Daumen hat. Mit ihrer Kreditkarte granuliere ich das Viertel eines Kristalls auf der Oberfläche des iPads. Julia wiegt eine Dosis von 360 Milligramm ab, die wir in erwärmtem Himbeersaft lösen. Als die Flüssigkeit in zwei gläsernen Espressotassen aufgeteilt ist, spreche ich den Wappenspruch der Alchimisten. Sie lacht und dann küssen wir uns. Julia sagt: Du bist so wunderschön. Du auch, sage ich. Aber warte bloß, wie schön du erst in einer Stunde sein wirst!
Wieso?
Der Kristall macht dich lieblich, er lässt mich tiefer in dich hineinschauen. Und ebenso dich in mich.
Famos, ich verstehe, sagt Julia, im Augenblick, wo man anfängt, sich mit einer Frau zu beschäftigen, sieht man sie nicht mehr so, wie sie wirklich ist, sondern so, wie mansie haben möchte. Du vergleichst die lieblichen Illusionen, die das beginnende Interesse schafft, mit diesen hübschen Kristallen. Und sehr trefflich bemerkst du, dass jene Illusionen nur in den Augen des verliebten jungen Mannes vorhanden sind.
So ist es, fuhr ich fort, darum erscheinen die Reden Verliebter vernünftigen Leuten so lächerlich, die das Wunder der Kristallbildung nicht begreifen.
Aha. Das nennst du also Kristallbildung! sagt Julia. Wohlan, bilde Kristalle um mich!
Prosit.
Im Sommer des Jahres 1989 stand ich in der Warteschlange vor dem Perkins Park in Stuttgart. Vom Killesberg aus sah man während des Wartens auf das Glitzern der Stadt dort unten, und Anthony, dieser schöne Mensch, der es damals durch sein Abbild auf den Anzeigen für Maxell Chrom- II -Kassetten zu Berühmtheit gebracht hatte, streckte mir auf seiner Fingerspitze eine Tablette hin, die ich mit dem Sekt aus seinem Glas hinunterspülen sollte. Auf meine Frage, was das denn sei, schob er mir seinen Zeigefinger zwischen die Lippen und sagte: Watch what happens. Anthony lebt längst nicht mehr. Auch Martin, sein Lebensgefährte, ist schon tot. Ich erzähle das Julia, während wir Musik hören und warten. Die vergleichsweise lange Irritationsphase ist charakteristisch für MDMA . Es dauert nicht gar so lange wie bei LSD , aber die Wartezeit, die Nervosität und das Nicht mehr erwarten können, man vergisst das immer wieder. Probiert man die Substanz zum ersten Mal, wie Julia, verzweifelt man schier in dieser langen Ungewissheit. Ich bin mir sicher, dass in meinem Gehirn ein übermäßiges Vorkommen an Serotonin zu finden ist. Alles schlägt bei mir rasch und zuverlässig an. Viel eher als Julia bemerke ich meine Verwirrtheit, Worte fehlen, ich kann einen Gedanken nicht mehr bis zum Ende formulieren. Ich fühle dennoch, wie sie sich Sorgen zu machen beginnt, dass sich bei ihr nichts tun wird. Dass es hippiemäßig klingt, ist mir jetzt egal, also nehme ich ihr Gesicht in meine Hände und sage: Du musst jetzt aufhören zu denken. Und Julia sagt: Okay. Wir schweigen eine Weile, küssen uns, bis sie mit einem Mal akzentfrei Madame Bovary zitiert: Ah! Voilà que ça commence!
Auch Welpen um die vierzig können umhertollen. Sie spürt nun zum ersten Mal diese eigentlich unbeschreibliche Empfindung, dass ihr Gehirn ganz sachte, bei leisestem Britzeln, in Butter gebraten wird. Ich schaue in ihre Augen und rate ihr, in den Spiegel zu sehen: Diese wunderschönen Pupillen – wir sind uns einig, gäbe es noch Belladonna, wir würden es jeden Tag einträufeln. Wie schön wir sind! Wie wunder-, wunder-, wunderschön Punkt Punkt Punkt Wie ist das schön!
Zeit vergeht, aber uns geht das nichts an. Es ist platt – wen kümmerts – was wir hier haben, ist das künstliche Paradies. Das KüPa, wie Julia es nennen will. In ihrer Fachsprache: eine Raum und Zeit transzendierende Präsenz. Es gibt keine Welt mehr außerhalb dieser weißen Wände und diese weiße Tür dort drüben, ich bitte Sie, mein Herr,
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