Untitled
herum.
Dann werde ich wieder wach von einem anderen, einem ungewohnten Gefühl: als fege jemand meinen Unterarm von innen. Aber das ist bloß die Nachtschwester, die einen neuen Infusionsbeutel anschließt. Von ungefähr morgen Mittag an werde ich gelernt haben, dass die Kanüle in meinem Unterarm bis auf Weiteres darin zu verbleiben haben wird; dass man eine solche Installation im Krankenhaus-Jargon als Zugang bezeichnet – viel mehr solcher Jargon-Worte werde ich allerdings nicht in Erfahrung bringen können. Das liegt vermutlich daran, dass meine Verletzung nicht kompliziert genug ist. Vielleicht auch, weil ich mir ohnehin alles immer viel abenteuerlicher und grenzenloser vorstelle, als es dann in Wirklichkeit noch werden kann.
Ich klage über meine Schmerzen und die Schwester, deren Gesicht ich kaum erkenne, weil sie die gesamte Operation im Dunkeln durchführt wie eine israelische Soldatin, die ihre Uzi blind zerlegen und zusammensetzen lernt, drückt mir zum Abschied zwei Tabletten in die Handfläche und hilft mir den Hinterkopf anzuheben, sodass ich einen winzigen Schluck Wasser trinken kann zu den Tabletten – ich frage gar nicht, um was für welche es sich handelt; nicht nur weil es stockdunkel ist: Ich habe blindesVertrauen. Und noch immer großen Durst. Aber den Becher mit dem Wasser nimmt sie mit fort.
Es ist dieselbe Schwester, die mich später in dieser Nacht dabei erwischen wird, dass ich eigenmächtig mein Bett verlassen habe, um mir mein Gesicht im Spiegel anzusehen. Im Gegensatz zu meinem Gesicht erkenne ich die Schwester an ihren Umrissen wieder, von nun an sind die mit Farben und Formen gefüllt. Sie zieht die Badezimmertür auf ohne anzuklopfen und stemmt sich die Fäuste in die Hüften – so würde man das in einer Sitcom inszenieren und so ist es in echt.
Ihre Vorwürfe beziehen sich auf mein eigenmächtiges Verlassen des Bettes, ich hätte doch keine Ahnung, was mir dadurch zustoßen könnte – hierbei ergreift sie das Gestell, an dem der Infusionsbeutel hängt, mit der einen, meinen Arm, in den der Schlauch führt, mit der anderen Hand und beginnt sich rückwärts aus dem Raum zu bewegen. Und ich, angeleint gewissermaßen, kann nicht anders, als mit ihr zu gehen. Obwohl sie mit einer Art Bühnenflüstern recht durchdringend zu mir spricht und beim Ordnen meines Bettzeuges auch die Leseleuchte meiner Konsole anknipst, bleibt die Person neben mir reglos in ihrem Bett.
Durst ist bald das Einzige, was ich noch spüre, die Schmerzen sind weg, ich weiß nicht einmal mehr, dass es Schmerzen überhaupt gibt.
Drei Stunden später werde ich aus der durch ein Medikament namens Mesulid induzierten Bewusstlosigkeit erwachen, die Augen geschlossen, das Gehirn wird sozusagen zuerst angeknipst, und ich brauche nicht hinzusehen – ich spüre das Leichtgewicht ihrer Hand, ich kann ihre Hand ertasten, jeden einzelnen ihrer Finger, wie sie auf meiner Bettdecke liegen, ohne hinzufassen. Gerade so, als hätten sich während des Schlafens dort an meinem Unterleib, der sich unter dieser Stelle der Bettdecke befindet, meinen Fingerspitzen ähnliche Tastorgane gebildet, die – vielleicht wie Schneckenfühler – nackt und hochsensibel dazu imstande sind, durch Schichten des Bettzeugs hindurch zu lesen.
Mein Liebster, ich höre ihre Stimme, ich höre ein zartes Flüstern, ein mir liebes, eins, das nur mir allein gilt, eins, das so ganz anders ist als das der Nachtschwester – ich weiß gar nicht: sind meine Augen noch geschlossen oder schon offen –, ich kann ihre Tränen sehen, ich sehe Julias Gesicht.
Es dauert eine Weile, ich schaue sie an, ich schiebe meine rechte Hand unter ihre, ich spüre die vertraute Haut, die Unterseite ihrer Finger, die Schlankheit, ihre Länge. Ich schließe die Augen, um das noch besser, noch genauer fühlen zu können: was Julias Finger mir bedeuten. Und sie.
Ich versuche, sie mit dem Schlaucharm zu mir herunterzuziehen, sie hat Angst mir wehzutun, sie weint und flüstert: Vorsicht! Ich sage ihr, dass mir nichts wehtut. Allerdings weiß ich seit dem Alleingang ins Badezimmer, wie ich aussehe. Ich kann verstehen, dass Julia befürchtet, etwas könne zerbrechen an mir oder abbrechen. Meine linke Gesichtshälfte inklusive des Auges ist von dunklem Lila und sieht zudem danach aus, als platze sie gleich.
Mir war nicht bewusst, dass ich ihr Details meiner Verletzungen auf die Voicebox gesprochen hatte, aber Julia sagt, als sie meine Nachricht abhörte, habe ich davon geredet,
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