Untitled
Eindruck macht, als habe er sich damit im Ton vergriffen, Julias wunderschönes Antlitz mit meinem violetten Baseballhandschuh gleichzusetzen, hat mir bislang noch niemand in ganz Australien etwas derart Liebenswertes gesagt! Dass Julia und ich uns ähnlich sehen, gehört zu den Dingen, von denen ich nichtgenug bekommen kann. Darin schwingt für mich mit: ihr passt zusammen, seid füreinander bestimmt.
Cyril hat die merkwürdigste Augenfarbe, eine, die selbst ich noch nie gesehen habe – weder an einem Model noch auf Fotos, noch an irgendeinem Menschen auf der Welt. Sie lässt sich nur mit Lavendel beschreiben – exakt jene Mischung aus verblichenen Lilatönen und Asche. Die Wimpern sind lang, sogar noch länger als meine, von denen Julia schwärmt, dass es die längsten sind, die sie je an einem Mann gesehen hat. Cyrils Gesichtshaut ist karamellfarben, seine Haare blauschwarz – ich vermute: indisches Elternhaus.
Es stellt sich heraus, dass er Julia für meine Schwester hält. Als ich das von mir weise, ihm im Gegenzug klarzumachen versuche, dass es sich bei der Art unserer Verbindung sogar um das glatte Gegenteil handelt, dass wir Liebende sind, wiegt er auf die für Inder typische Weise den Kopf – so gut es eben geht, wenn man dabei auf dem Rücken liegt und sich dabei mit jemandem unterhält, der im Bett neben einem liegt. Obwohl das in der Krankenhauswelt vermutlich zum guten Ton gehört, habe ich Cyril noch nicht gefragt, womit er darniederliegt. Ich meine: Bei mir ist das ja offensichtlich, leiderdings. Er wirkt, von dem, was ich bislang zu sehen bekam, unversehrt. Da mir die Erfahrung fehlt, nehme ich an, dass man die Frage nach dem Leiden eleganterweise in den Austausch der übrigen Informationen integriert, während man sich einander vorstellt. Und dabei fällt mir auf, dass ich nicht gerne sagen will, dass mein Gesicht zerbrochen ist. Ich weiß nicht warum, aber das hört sich unwiderruflich an. Nicht wieder gutzumachen. Fuß gebrochen, Arm gebrochen: kein Problem. Aber das Gesicht?
Cyril quält scheinbar was mit der Zunge, und mit –Blut! Na klar, in der Krankenhauswelt darf Blut niemals fehlen – aber quälendes Zungenblut? Gibt es das überhaupt? Jedenfalls hört sich, was er mir zu sagen versucht, nach deutschen Worten an. Wie alle Inder spricht er, als halte er dabei eine kleine Murmel unter der Zungenspitze gefangen. Da sind kleinere Missverständnisse gewissermaßen eingebaut. Und wenn ich diesen Umstand berücksichtige: sagte er dann nicht eher etwas von quälendem Lungenblut?
Magst du Thomas Mann etwa nicht? Cyril fragt das jetzt schon zum zweiten Mal und ich, in Gedanken noch von seinen wund gehusteten Lungen sozusagen: beflügelt, bringe nur heraus, dass mir der Zauberberg einfach zu langatmig scheint –, und will mich gerade für diese Taktlosigkeit entschuldigen, da zwitscht er durch die Backenzähne. So habe ich sie mir nämlich immer vorgestellt – Katia und Klaus. Beziehungsweise: Es fiel mir ein, als sie hereinkam – Julia? Du schliefst da noch. Da war ein Klopfen an der Tür, das war leise und zugleich unnachgiebig – verstehst du: so. Und dann: so. Und dann, als nichts weiter geschah, sagte ich: herein. Ich nehme an, sie hätte die Tür sonst nicht geöffnet. So schätze ich sie nun ein. Jetzt, wo ich euch gesehen habe.
Ja? Was hast du denn gesehen? Normalerweise fällt es mir nicht leicht, ins locker-flockige Plaudern zu kommen, aber hier geht es um mein absolutes Lieblingsthema! Denn ob nun allein und in sogenannter stummer Zwiesprache, ob mit anderen: Über nichts auf der Welt spreche ich derart gern wie über Julia Speer. Und es zählt dabei jede Kleinigkeit: Beschreibe es mir genau. Wir sagen übrigens nie Was hast du gestern gemacht?, sondern: Was habe ich verpasst? Er macht wieder diese Kopfbewegung, die für ihn eben nicht Nein bedeutet, sondern Zustimmung. Und erhat sofort begriffen, um was es in diesem Spiel, das Julia und ich füreinander erfunden haben, geht: Cyril beschreibt mir präzise, wie sich auf seine Aufforderung hin die Tür unendlich langsam um zunächst nur einen Spalt aufschob. Allein wie er das Niedergedrücktwerden der Türklinke beschreibt, die Veränderungen der Lichtreflexe auf diesem metallenen Gegenstand – das hätte ich, das hätte Julia, selbst Vermeer hätte das nicht besser beschreiben können! Ihr dunkler Blick: Cyril belässt es bei diesem Bild – es ist alles gesagt. Er erzählt all dies sozusagen in Echtzeit, bis er den Moment
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