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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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– Wülste, wahrscheinlich das scheußlichste Wort der deutschen Sprache.
    Du wirst dein schönes Antlitz zurückerhalten, sagt Julia. Du musst nur ein bisschen Geduld haben.
    Ich merke, wie tapfer sie sein will, und das rührt mich zu Tränen. Sie sagt: Ilsa Lunds Gesicht war auch nicht symmetrisch.
    Stimmt überhaupt! In der ganzen Filmgeschichte gibt es keine Schauspielerin mit noch schieferem Gesicht als Ingrid Bergman.
    Und du siehst um so vieles hübscher aus, sagt Julia. Jetzt schon – bereits. Ich nehme ihr die Träne mit der Spitze meines Daumens aus dem Augenwinkel: Nicht weinen, du sollst nicht.
    Vorhin, sagt Julia. Ich habe vorhin geweint, als ich dich suchen musste – das ist noch von vorhin.
    Es wird Zeit für sie zu gehen. Ich kann das spüren, so wie ich alles spüren kann, was uns betrifft – eigentlich müssen wir nicht sprechen, wir wissen bereits alles, wenn wir uns sehen; wenn wir einander ansichtig werden dürfen. Und auch sonst, die Übertragung funktioniert auch ohne Bild. Das haben wir in den letzten Monaten immer wieder aufs Neue überraschend erfahren. Und dennoch reicht es nicht aus. Es genügt nicht, sich des anderen versichert zu wissen. Es reicht nicht, die von ihm gesandtenZeilen wieder und wieder zu lesen. Die Fotos zu betrachten – selbst Videotelefonate: Als es sie noch nicht gab, stellte man sich das noch ganz großartig vor – in etwa so wie Laserstrahlen, die sich dann als weitaus weniger epochal herausgestellt haben. Es gibt da diesen einen Film von Rainer Werner Fassbinder – noch schlechter und hölzerner als alle anderen, in dem macht Eddie Constantine dauernd mit einem grotesk aussehenden Videofon herum, weil die Filmhandlung erkennbar aus der fernen Zukunft (vermutlich im Jahr 2000, dem Jahr des Laserstrahls!) erzählen soll –, jedenfalls wird in diesem Film natürlich nicht klar, worin das Problem der Videotelefoniererei bestehen wird: Man will den anderen auch anfassen können, sobald man ihn beim Sprechen sieht. Nicht jeden, klarerweise. Rainer Werner Fassbinder sogar auf gar keinen Fall! Aber Julia schon – viel und heftig. Wenn Skype also erst das Berührungstelefonat eingeführt haben wird – eventuell werden dann extreme Long-Distance-Beziehungen wie die unsere dadurch erträglich gemacht. Erträglicher zumindest. Solche Fahrradunfälle müssen erst noch erfunden werden, dass ich das vergessen kann: Julia ist verheiratet. Und zwar nicht mit mir.
    Kommst du wieder?
    Aber natürlich, sagt Julia. Und macht eine wunderschöne Bewegung mit ihrer Hand. Die Tür wird von einem Stoßdämpfer verlangsamt ins Schloss gedrückt. Dann ist es still.
    Wenn man, wie ich, Krankenhäuser vor allem aus Filmen und Erzählungen kennt, stellt man sich den Krankenhausalltag komplett falsch vor. Ob im notorischen Emergency Room oder sogar in der vergleichsweise schläfrigen Serie aus meiner Kindheit, dem tschechischen Krankenhaus am Rande der Stadt: kaum kommt man ins Krankenhaus,so entsteht der Eindruck, wird man auf dem Bett hinübergefahren in eine andere Welt; eine Welt, in der, im krassen Gegensatz zum aseptischen Klima dort und dem hochgeschlossenen Aufzug ihrer Bewohner, rund um die Uhr allerhöchste Betriebsamkeit herrscht. Als Sinnbild dieser Emsigkeit bleiben dem unerfahrenen Zuschauer vor allem die Paddel der Defibrillatoren im Gedächtnis, mit denen die Eingelieferten schockartig wieder fit gemacht werden, sollten sie angesichts des ganzen Krankenhaustrubels zeitweilig ihr Bewusstsein verlieren.
    Die Wirklichkeit sieht anders aus. Es geschieht so gut wie gar nichts im Krankenhaus. Von innen betrachtet ist ein Krankenhaus nichts weiter als eine Vierundzwanzig-Stunden-Werkstatt mit angeschlossenem Hochregallager für kaputte Körper. Man wird versorgt, dann in ein Bett gelegt und eingelagert. Und das halt so lange, bis man das Krankenhaus wieder aus eigener Kraft verlassen kann. Bis dahin liegt man herum. Und das erscheint selbst jemandem wie mir, der ansonsten seine Zeit am liebsten im Bett liegend verbringt, nur schwer erträglich – denn erstens ist es nicht mein Bett, noch nicht einmal mein Zimmer, zweitens kann ständig jemand hereinkommen, drittens bin ich in dem Zimmer noch nicht einmal allein.
    Sie sieht dir sehr ähnlich. Eigentlich, will ich damit sagen. In guten Tagen – besseren. Mein Bettnachbar, er heißt Cyril, schaut mich an. Während er sich aus einer sehr kleinen Schachtel die Cornflakes in viel zu viel Milch kippt. Und obwohl es auf ihn den

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