Untitled
klimperte ganz kurz mit ihren Wimpern, so von schräg unten, die Mütze auf dem Kopf, im Begriff zur Tür zu gehen, und dieser Klimperblick, den ich zuvor noch nie gesehen hatte an ihr, traf mich mit einer physischen Wucht, wie ich das noch nie zuvor beim Angeschautwerden erlebt hatte. Weil mir in dem Moment schlagartig bewusst wurde, dass sie ganz genau wusste, wie es um mich stand – in Sachen meines Verliebtseins und meines ihr Verfallenseins. Weil wir eben keine Kleinkinder waren, die in all ihrer Unschuld, so ganz versehentlich, sich ineinander verlieben und noch keinen Schimmer davon haben, was mit ihnen geschieht und wozu. Das heißt: In meinem Fall traf das schon recht eigentlich zu, ich hatte tatsächlich kaum Ahnung, sonst hätte ich mich nie darauf eingelassen, als sie mir an unserem ersten Abend ihre Karte gab und dabei darauf hinwies, unabänderlicherweise gebunden zu sein. Nicht allein diesen Umstand hatte ich unterschätzt.
Gesetzt den Fall, es gäbe da eine Tablette, die könnte dir den Kummer nehmen, ja: du würdest nicht nur den Kummer vergessen, sondern mich auch und dass wir uns je begegnet sind – würdest du sie schlucken wollen?
Ich verneinte. Protestierenderweise. Und zwar ohne auch nur nachzudenken – Julia vergessen? Eine fürchterliche Vorstellung. Der Tod.
Ich übrigens auch nicht, sagte Julia. Auf gar keinen Fall!
Nie wieder Julias Lachen hören – und wenn dann nur am Telefon. Julias lautes, mutiges Lachen. Sie lacht so gern und ich habe sie immer gern zum Lachen gebracht. Ich konnte das gut. Ich kann es immer noch. Sogar jetzt. Man sagt doch – die Liebesratgeberliteratur ist voll davon: Humor ist das Wichtigste. Aber eben leider nicht wichtig genug. Frederick ist das Wichtigste, sagte Julia. Hin und wieder. Immer tat mir das weh. Julia sagt, dass es unterschiedliche Empfindungsweisen für Schmerzen gibt. Verlust eines Partners und Verlust eines Zahnes schmerzen jeweils anders als zum Beispiel Verlust eines Auges – jeweils gibt es eine spezifisch psychologische Komplikation, die den Schmerz zu charakterisieren hilft.
Und es tut sozusagen doppelt weh, nun, da ich diesen Satz erinnerte – also nicht doppelt stark, sondern zweifach, zwei unterschiedlich motivierte Schmerzgefühle empfand ich (so als litte ich bereits unter Zahnschmerzen und hätte mir zudem noch mit einem Hammer auf den Daumen gehauen).
Demzufolge rührte der Daumenschmerz im derart übertragenen Sinn von meinem Dummheit offenbarenden Plan her, einen australischen Brettspielfabrikanten überreden zu lassen, eine deutsche Fachkraft anzuwerben; verbunden mit dem lässlichen Haken eines Umzuges nach dem schönen, aber halt auch ganz schön abgelegenen Australien. Und trotz alledem, trotz des zigfach von Julia geäußerten Frederick ist das Wichtigste, davon auszugehen, dass er ginge und sie in Berlin bleiben möge. Auf der Grundlage der schwindligen Tatsache, dass Julia ein paar Mal ähnlich überzeugend geäußert hatte: Ich könnte niemals wegziehen aus Berlin.
Konnte sie eben doch. Weil Berlin nicht das Wichtigste war.
Im Biosupermarkt oder in der Straßenbahn hörte ich oft, dass eine Person zur anderen sagte Mein Leben ist eine Katastrophe. Manchmal sogar echte Katastrophe, um sich von den vielen anderen Katastrophenlebensläufen ringsum abzusetzen. Sorgen um die betreffende Person musste ich mir allerdings noch nie machen, denn die fatale Aussage ward eingebettet in ein Lamento von globalem Ausmaß bei vergleichsweise flachem Niveau: Kinderprobleme, Jobprobleme, Wohnsituation, Streit mit diesem oder jenem, das Wetter. Die Nichtigkeiten wurden pedantisch zur Katastrophe getürmt. Ich empfand es genau umgekehrt: mein Leben an sich war ganz und gar unkatastrophal, geradezu gut.
Aber.
Die Katastrophe meines Lebens war eindeutig zu benennen. Und ich ließ sie zu keiner Sekunde aus dem Blick – oder sie mich: dass Julia Speer und ich uns zu spät kennengelernt hatten. Alles stimmte, alles war gut. Es war einfach bloß zu spät.
Das Denken und das Niedergehaltenwerden vom Schwindelgefühl verbrauchten bereits so viel meiner Energie, dass schon der bloße Gedanke an gleich welche darüber hinaus gerichteten Aktivitäten bedrohlich schien. Geschweige denn, irgendetwas davon in Angriff zu nehmen. Etwas anziehen – in meiner Vorstellung waren sämtliche zu dieser Operation notwendigen Bewegungen und Handgriffe in aggressiver Absicht gegen meinen schutzlosen Körper gerichtet. Die Idee des kalten oder warmen
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