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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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Nightingales, eine unermüdliche Nachtschwester, deren Wappen, das Kreuz, aus fünf Spiegelplättchen einer Discokugel gefügt war. Nachdem sie sich eine Zigarette angezündet hatte, deren Glut mit einer Prise Kokain gewürzt wurde, verabreichte sie mir eine dritte Dosis Ethanol, die mir im gemütlichen Schein des Dunstabzugshaubenlämpchens als purpurfarben erschien. Wie sollte etwas, das eine derart gute Wirkung in mir hervorrufen konnte, schlecht für mich sein können?
    Wir sollten mal wieder ausgehen, sagte Erin. In einer solchen Situation brächte es nichts, sich zurückzuziehen – wobei sie diesen Drang freilich nachvollziehen konnte. Dagegen müsste ich jedoch mit letzter Kraft angehen. Ich stellte fest, dass ich es gerade für wahrscheinlich hielt,dass ich ein Ausgehen unter massiven Gaben Heroins tatsächlich für attraktiv befand, vermutete aber sicherheitshalber öffentlich, dass ich es nicht fertigbrächte, unter Menschen zu gehen. Daraufhin bot Erin mir ihre Hilfe an und es stellte sich heraus, dass sie mir als sogenannte Palliativmaßnahme eine Frau zuzuführen gedachte, die in einer Neuköllner Bar am Tresen arbeitete: klein und dunkel, kurzes Haar, schöne Zähne, gut gebaut – eigentlich wie Julia. Und ich, in meinem zur Friedlichkeit erweiterten Zustand, hielt mich noch an dem niedlichen Reim der zuletzt vernommenen Zeilen auf, deren Gehalt in meinem verschleppt arbeitenden Bewusstsein aber noch nicht zusammengesetzt war, als diese Nachricht bereits von der weniger komplexen überholt wurde: Fuck the pain away! Das hatte Erin hervorgebracht. Und zwar gerade eben, als ich gedanklich noch mit ihrem Reim beschäftigt war. Sinnierenderweise.
    Sie rauchte. Erins Mund ließ Zigarettenrauch hervorquellen. Erins Augen schauten mich an. Bambi on Drugs, schwarz wie der Spiegel eines dunklen Worts, ich konnte mich darin gespiegelt finden. Erins Augenbrauen zogen sich über Erins Nasenwurzel zusammen.
    Ich hatte gesprochen.
    Was?
    Ich starrte sie an.
    Mit Was soll ich zurücknehmen? präzisierte Erin die Frage.
    Die Aufforderung zum Fremdgehen. Den unziemlichen Vergleich. Eigentlich alles. Julia geht sie nichts an.
    Aber wir sind doch befreundet! Ich wiederhole meine Warnung, dass jeder, der Schlechtes über Julia denkt und dies auch noch äußert, von mir exkommuniziert würde. Doch Erin sagte: Es tut mir weh, dich derart leiden sehenzu müssen. Und ich wünschte mir, ich könnte irgendetwas tun, dass du zumindest mal wieder lächelst.
    Wäre ich nüchtern gewesen, hätte mich das extrem berührt. Ich hätte mich an Erins flache Brust geworfen und meine Arme um ihre knochige Taille geschlungen und sie hätte mir den Hinterkopf gestreichelt und alles wäre gut gewesen. Vielleicht hätte ich ihr das schöne Bild gezeigt, das Julia mir geschickt hatte, das mit dem goldenen J im Sonnenschein. Wir hätten über die Locatordaten der Bilddatei den Ort des Buchstabens bestimmen lassen können und uns dann mit Google Street View in der Altstadt Sydneys längs der Darling Street umgeschaut (wie ich es in den vergangenen Tagen und Nächten ausgiebig getan hatte). Und spätestens dann wäre alles wieder gut geworden. Wir hätten die winzigen Kleinigkeiten, die scheinbaren Nebensachen, auf die es doch ankam, identifiziert und gedeutet – und ganz sicher wäre es mir dann wieder gut gegangen. Zumindest beinahe. Zumindest besser.
    Denn solcherweise medikamentiert sagte ich nach einem weiteren Schluck in die waagerecht an meine Lippen angedockte Glocke des Glases hinein: Das weiß ich zu schätzen. Könntest du das etwas näher ausführen – also wie du dir das denkst, mit meinem Wohlergehen?
    Dass du endlich aufgibst. Du musst doch jetzt endlich verstehen: diese Frau will ihren Mann nicht verlassen.
    In Filmen wäre es jetzt still geworden. Damit der Zuschauer sich gleich darauf umso mehr erschrickt, wenn das große Anbrüllen und Flaschenumschmeißen und Türenzuschlagen beginnt.
    Keiner von uns beiden erschrak, dafür schrien wir viel zu laut. Und als Erin mit der Tür schlug, lag ich noch zwischen den Scherben der Flasche auf dem Küchenboden, weil ich über meinen eigenen Stuhl gestolpert war.

    Wahrscheinlich weil ich betrunken war, musste ich an Senta Kustermann denken. An die schreckliche Nacht, als wir uns trennten, weil ich ihr erzählen wollte, dass ich mich in Julia Speer verliebt hatte. Weil ich es mir von der Seele reden wollte, wie man so sagt. Weil mein guter Freund Maxim gesagt hatte, so ein schlechtes

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