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zusätzlich aufwertet, wenn man von den Sicherheitsleuten nach tagelanger Abwesenheit noch mit Namen begrüßt wird. Die halten ja extrem strenge Vorschriften ein und achten besonders beim Bewachen der panzerverglasten Drehtüren, die aus dem panzerverglasten Empfangsraum in das Foyer des Verlagshauses führen, darauf, dass sich verdächtige Personen den gepanzerten Türen noch nicht einmal nähern können.
Es ist direkt nach dem Passieren der verpanzerten Drehtüren zu spüren: das Herniedersinken von Mutlosigkeit und Angst. Ich war an jenem frühen Morgen – früh für jene Branche, die erste Konferenz des Tages begänne um zehn – derart gut gelaunt, dass mir nichts etwas anhaben konnte. An den meisten Tagen war dies so gewesen. Oft war ich auf meine gute Laune angesprochen worden, so als gäbe ich dadurch Anlass zu Verdächtigungen. Dabei war ich einfach noch nicht lange genug dort. Und wollte das auch auf gar keinen Fall bleiben. Denn um mich herum konnte ich sehen und hören – erfahren vor alledem, jeden Tag, in beinahe jedem Gespräch: was aus Menschen wurde, wenn sie länger als die von der Mutterbindung her gewohnten zwei Jahre für das Verlagshaus arbeiteten. Es gab da kurz nach meiner Einstellung eine Konferenz für Führungskräfte, da wurden die Ressortleiter um Ideen gebeten, wie man dem Verlagshaus aus seiner nun schon Jahrzehnte währenden Imagekrise helfen könnte. Und wie sich die Mitarbeiter zu besseren Leistungen anspornen ließen. Das war die einzige Konferenz in meiner Erinnerung gewesen, auf der es massenhaft Alkohol gab. Kantinenkellner hatten die zwei Wagen mit Wein und Bier wenige Minuten vor dem Beginn der Konferenz hereingefahren, da ahnten die Altgedienten bereits, dass es Ernst würde. Der Leiter der Außenpolitik begründete das Motivationsproblem der Mitarbeiter so: Die meisten sind einfach bloß hiergeblieben. Die Chefredakteure baten dann um Vorschläge für sogenannte kreative Alterszeitlösungen. Denn wenn sich die Auflagen nicht durch besseren Journalismus steigern ließen, müsse man so bald wie möglich Ballast abwerfen. Oder wie das ein Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen im Verlauf der ersten Zeitungskrise nach dem Elften September zu Protokoll gegeben hatte: Im ersten Schritt wurde schon viel Fett abgeschnitten, jetzt geht es ans Fleisch. Im Verlauf dieser Konferenz hatte ich zum ersten Mal begriffen, wo ich eigentlich gelandet war.
Mit Julia hatte ich oft darüber geredet. Kaum hatten wir uns kennengelernt, hatte sie bezüglich meiner Tätigkeit im Verlagshaus festgestellt: Du passt da nicht hin. Das sah ich selbst ungefähr auch so, bloß war mir noch nicht klar, was ich sonst machen sollte – beziehungsweise: passte ich überhaupt irgendwo hin? So gefragt: natürlich zu Julia. Aber es ging ja um das Berufliche. Das Gute an einem festen Arbeitsplatz: Man muss sich nicht anstrengen, um unter Leute zu kommen – die sind immer da. Besonders gut, wenn man eine leitende Position sozusagen bekleidet. Dann braucht man vor den Leuten auch keine Angst zu haben. Und Lorraine freute sich wirklich, mich zu sehen. Die Frage nach meinem Verbleib in den letzten Tagen wurde ebenso ausgespart wie die nach meinem aktuellen Befinden. Es kamen noch zwei andere dazu und dabei hatte ich die Tür zu meinem Büro noch nicht einmal aufgesperrt. Der Nachteil an einer leitenden Position ist, dass man tatsächlich verantwortlich ist für seine Mitarbeiter – jedenfalls soweit es die Belange der Arbeit betrifft. Es kam oft zu solchen Situationen, die aus den Erzählungen junger Väter bekannt seindürften, wenn ich sozusagen nach Hause kam, also in die Redaktion, und eigentlich mit niemandem sprechen wollte, aber selbst bei nahezu geräuschlosem Betreten des Raumes genügte das Hineinschieben meines Schlüssels ins Türschloss meines Büros, dies kleine Geräusch, Pendant zum Knick eines Zweigleins während der Pirsch, dass sogleich aus allen Winkeln, hinter den Bücherregalen, selbst unter einem Schreibtisch hervor, sich die Köpfe in meine Richtung reckten. Und im selben Moment auch das Melden und Fragen seinen vielstimmigen Anfang nahm.
Ich ließ das Aufschließen sein und setzte mich auf die Konsole, auf der ein Schwarz-Weiß-Drucker aufgebaut war, und wir redeten. Anstehendes, Bewältigtes, drohendes Scheitern – bald schon kristallisierten sich erste Themen, ein richtiger Kracher darunter, mit dem wir zweifellos bereits an diesem Sonntag aufmachen, ja: mussten (die Einwände meines
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