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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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Schreiber, die man zu jener Zeit an Gesicht und Namen erkennen können musste. Und das Stück, es hieß Freunde II – das ging damals, so konnte man Theaterstücke betiteln, der Autor galt als Mann der Stunde. Und so war sein Stück auch inszeniert worden, ziemlich filmreif, bloß als der Hauptdarsteller starb, da sagte er einen Text auf, der mir naheging, er sagte: Ah – sterben. Endlich. Das musste ja kommen. Es tut null weh. Es ist nur geil. Im Programmheft stand, dass es sich bei seinem Tod um einen Liebestod handelte. Und ich habe mich auf der Premierenfeier mit Rainald Goetz gestritten, der gerade diese Szene unmöglich fand, ganz schlimm sogar. Und er hatte sich furchtbar aufgeregt, wie so oft, aber dieses Malging es um etwas, das ich gesagt hatte, denn ich fand diese Szene, den sogenannten Liebestod, einzig gelungen und den ganzen Rest des Stückes eher vor allem zu bunt. Und Rainald Goetz sagte, ich hätte keine Ahnung vom Tod und von Selbstmord und vom Sterben. Dass Sterben etwas ganz Schreckliches sei. Er war ja um einiges älter als ich und ich achtete ihn sehr. Es war als gegeben hinzunehmen, dass er, der Ältere, unter anderem auch intensivere Erfahrungen mit Tod und Leid gemacht haben würde. Ich ließ das also sozusagen im Raum stehen, meine jugendliche Unbekümmertheit, meinen Zynismus eventuell sogar, und wunderte mich heimlich weiter, wie er eine Szene in einem Theaterstück auf derartige Weise ernst nehmen konnte; eingedenk: eines Stückes mit Namen Freunde II .
    Gerade erschien mir das nun kein bisschen mehr wunderlich. Mein vollstes Verständnis für jegliche Art von übersteigertem Mitgefühl. Mit dem Liebestod ist nicht zu spaßen. Und Sterben ist für niemanden, nirgendwo: geil.
    In einigen Wochen, wenn ich mich vom Schock nach dem nächsten großen Ding beruhigt hätte, würde ich Rainald auf dem Brechtfriedhof an der Chausseestraße treffen. Für fünfzehn Minuten nur, einen kurzen Spaziergang machen und ihm knapp berichten, was tatsächlich vorgefallen war. Von den Premierengästen von einst würde er der einzige sein, der sich dafür noch interessierte: Was denn in Wahrheit geschehen war.
    Ich hatte mich am Morgen nach dem Streit mit Erin endlich aufraffen können, in den Verlag zu fahren. Kann gut sein, dass der Entschluss durch mein protestantisch geprägtes Gewissen zustande gekommen war; für ausschlaggebend halte ich eine EM ail von Julia. Die Nachricht bestand aus einer Aufnahme ihres Gesichtes. Der Aufnahmeort war offenbar das Badezimmer ihrer australischen Behausung. Julia hatte ein T-Shirt an, das ich ebenfalls besaß (nur war ihres für einen zierlicheren Körper geschnitten). Ich selbst hatte ihr dieses T-Shirt einst in Paris gekauft. Es wurde zum Bestandteil unserer umfangreichen Kollektion identischer Kleidungsstücke (den Begriff des Partnerlooks, obwohl uns nicht unsympathisch, vermieden wir zugunsten unserer Abmachung, dass unsere Beziehung ohne Bezeichnung bleiben sollte, also nicht einmal Beziehung genannt werden dürfte, um ja bloß unsterblich zu bleiben, namenlos also, untitled – wie unser Lieblingsparfum, dessen Flakon hinter Julias rechter Gesichtshälfte von einem Bord aufragend zu erkennen war). Ich beschaute mir dieses wundervolle Bild, die Allegorie unserer Liebe wieder und wieder, bis die Batterie des iPhones erstorben war.
    Erfrischt, so als sei auch ich am weißen Kabel betankt, beschloss ich nach dem Morgengrauen, den Rest des Tages an meiner vertraglich zugesicherten Arbeitsstätte zu verbringen. Duschen und Rasieren erschienen mir nun nicht mehr als verstachelte Hindernisse, sondern notwendig und sogar schön. Das Heraussuchen der Kleidungsstücke, wie auch das Anlegen eines hellblauen Hemdes, der Jeanshose sowie rosafarbenen Socken zu den Schnürstiefeln war mir eine Freude; eine große Freude! Wenn auch nicht meiner Kollegen wegen oder der Passanten meines Arbeitsweges, sondern weil ein jedes dieser Kleidungsstücke (selbst die Socken) ebenfalls, nur in etwas zierlicherer Ausführung, sich in Julias Besitz befand. Bevor ich kurz nach halb neun das Haus verließ, bestäubte ich mich noch aus meinem Untitled-Flakon. Nun war ich bestens gerüstet. Nirgendwo klebte ein Lindenblatt. Mein Gefühl war beinahe so, als wäre ich zu ihr – oder zumindest: als wäre ich zu uns beiden zugleich geworden.

    Das Gute an so einer Riesenfirma wie dem Verlagshaus, für das ich an diesem Tag der Erzählzeit noch als Ressortleiter tätig war, ist, dass es einen

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