Untitled
leitete damit die ungewollte Unterhaltung ein.
Sein Name war Holm – hört man auch nicht oft, besonders selten in unserer Altersgruppe. Ansonsten von besagt unauffälliger Erscheinung, war es nun plötzlich seine Frisur, die mich überraschenderweise beeindruckte, so als sei sie ihm eben erst von der Stewardess gebracht worden: Eine Föhnfrisur aus blondem Haar, das, womöglich mit Haarspray amalgamiert, vielleicht auch bloß so, metallisch glänzte, regelrecht gülden war. An den Seiten waren die Furchen, die eine sogenannte Skelettbürste hinterlassen hatten, fixiert (dies sprach für die Spraytheorie). Das zugleich längere wie auch aus anderem, einem noch glatteren Material wie etwa Trompetengold bestehende Haar, das den Hinterkopf bedeckte, war über dem Hemdkragen zu einer Imitation der aufbrandenden Gischt des einen Wasserfall imitierenden Hinterhaars geföhnt. Das wird mit einer Rundbürste gemacht, stellte ich im Stillen mit fachmännischem Stolz fest, während unsere Unterhaltung bereits in Gang gekommen war (schließlich schrieb ich ja einst über Mode, es war allerdings schon recht lange her).
Holm war Künstler, er kannte sogar meinen guten Freund Maxim, der wiederum kannte aber anscheinend Holm nicht, denn sonst hätte er mir schon von dessen kurioser Erscheinung berichtet. Wir begriffen uns ja beide als Punks, Maxim und ich. Und Holm, wie es mir nun schien, passte zu unserer Truppe bestens dazu – mit dieser Frisur in der Economy Class um die Welt!
Angenehmerweise ging es in unserer Unterhaltung, die zum großen Teil von Holm gefüttert wurde, nicht um den Kunstmarkt. Er beherrschte die Mixtur aus Gelesenem und Erlebtem, die stundenlange Gespräche ermöglicht, deren Einzelheiten man hinterher zwar größtenteils vergessen hat, aber nicht, weil man das wollte – sondern weil das so vorgesehen war. Und während wir auf dieser unverfänglichen Grundlage umherhüpften, besah ich mir sein Gesicht, die Frisur war nun in seine Gesamterscheinung integriert und unauffällig geworden; ich dachte: War Holm wohl jemals verliebt gewesen? Seit Julia weggeflogen war, stellte ich mir diese Frage andauernd. Unwillkürlich: der Mann, der mir die Falafel über den Tresen reicht, die Frau am Steuerpult der Straßenbahn, Holm, die Frau mit dem Baby, die Stewardess – hier, in dieser Röhre, zusammengepfercht auf den Sitzen, wie viele von uns, wer war jemals in seinem Leben schon verliebt gewesen? Verliebt so wie ich; verliebt zum Steinerweichen, bis zum Steinezerbeißen; mit Schlosshund und Zahngeklapper? Und seltsamerweise konnte ich mir das bei dem einen oder anderen auch vorstellen, aber nie (auch nicht bei den Frauen) in eine andere Person als in Julia; in meinen Vorstellungen waren Verliebtsein und Julia längst eins geworden; konnte sich, gleich wer, egal wo, jede heute lebende Person ausschließlich in Julia verlieben (oder es würde halt etwas anderes als Verlieben sein).
Holm war mittlerweile bei einer Würdigung der Vorzüge Sydneys angelangt. Für ihn waren das vor allem die Restaurants, deren Küche vor ein paar Jahren noch als einzigartig gelten durfte, mittlerweile war die sogenannte Pacific Rim Cuisine bis über besagten Rand hinaus über die industrialisierten Kontinente geschwappt. Von einer Australisierung Nordeuropas sei trotzdem nie die Rede, Los Angeles strahle popmythologisch mit größerer Macht; wer sich in Berlin oder Stockholm von weißem Fleisch und Smoothies ernährt, in Sportklamotten rumläuft und auch ansonsten bedacht wohlstandsverwahrlost, der begreife sich als kalifornisiert. Klar, von australischer Musik hattenwir seit Nick Cave und Python Lee Jackson nichts mehr gehört. Midnight Oil und INXS , Michael Hutchence vor allem – das wird heute mit australischer Kulturproduktion in Verbindung gebracht. Von australischer Kunst weiß man gar nichts, australische Modeschöpfer: unbekannt. Baz Luhrmann, dessen Shakespeare-Verfilmung von Holm und mir als erhaben beurteilt wurde, hatte mit seinem Australienepos namens Australia klar gemacht, worin das australische Problem besteht: auf IMDB .com waren weit über fünfzig faktische Fehler aufgelistet, die Drehbuch und Continuity, letztendlich also Regisseur Luhrmann selbst zu verantworten hatte. Offenbar war Australien selbst den Australiern egal. Vor einem Jahr noch hätte ich Kraft und Humor besessen, um beim Entspinnen einer haarsträubenden Nonsens-Diskussion über die Kultur Australiens mitzuhelfen. Aber, wie immer, wenn es lustig
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