Untitled
wurde, so als ob mein Körper gekitzelt würde, mein Geist aber gezwickt, fühlte ich mich in mir zusammensinken. Gerade so, als habe mir jemand das Spaßorgan entfernt.
Dass einem etwas schmerzlich bewusst werden kann: mir war das immer als Redewendung vorgekommen. Dass Gedanken wehtun können, also richtige Schmerzen auslösen, bei denen ich mir unwillkürlich die Seite halten musste, oder eine Hand auf die Herzgegend legen – eine Hand an den Kopf, wo die Ursache des Schmerzes doch war, brachte ja seltsamerweise keine Linderung –, dieses Phänomen kannte ich erst seit Julia. Als ich noch in dem Verlagshaus arbeitete, hatte es viele viele Tage gegeben, an denen ich schmerzfrei, sozusagen unter Betäubung die Stunden verbracht hatte, weil es mir da gelungen war, mich durch Arbeit abzulenken. So gesehen, aber das war mir halt erst mit einigem Abstand möglich geworden, hatte meine Beschäftigung dort etwas Gutes: mein über schlaflosen Nächten düster beschlagenes Gehirn wurde dort mit Pfeifenreinigern durchgebürstet, bis seine Windungen wieder rosig schimmerten. Das bemerkte ich leiderdings erst, wenn mir nach Verlassen des Gebäudes Schritt für Schritt bewusst wurde, wie es sich wieder eintrübte, rußig wurde, bis ich zu Hause oder im Restaurant eingetroffen war: schwarz. Die Erinnerung an die Schmerzen waren vom Schmerz selbst nicht zu unterscheiden, der schien derart eindimensional und an ihm war nicht zu rütteln, sodass er nicht verzerrt wurde, abgemildert, verklärt – fiel mir mein Schmerz um Julia ein, litt ich ihn zugleich. Und passierte mir das vor anderen, oder neben ihnen, so wie jetzt neben Holm sitzend, der von einem Fischrestaurant schwärmte, dann geriet ich in den Griff meines panischen Wunsches, mich verkriechen zu können. Verstecken! Zumindest das Gesicht unter die Windungen meines Schals ziehen zu dürfen wie eine Schildkröte. Ein Mal und dann noch ein Mal kurz hielt ich mir beide Hände vors Gesicht, wahrscheinlich hielt die Stewardess das für einen nervösen Tick. Man will ja lieber für verrückt gehalten werden, als das Leiden zu offenbaren. Nur: beim Verliebtsein wird das irgendwann eins.
Wir hatten beide nur herumgepickt in unseren Bordmenüs – bemerkenswert fand ich, dass sich die Qualität der Verpflegung hier nur in der Darreichungsform unterschied von der auf Porzellan und mit Metallbesteck servierten Nahrung im Bug. Als unsere Klapptischchen von den ineinandergeschachtelten Plastikschalen geräumt waren, plazierte Holm ein silbernes Kästchen vor sich, um ihm eine Phiole mit lilafarbener Flüssigkeit zu entnehmen. Die außerdem sich in dem Kästchen befindlichen Metallröhrchen setzte er zu einer E-Zigarette zusammen, deren Kondensationsbehälter er aus der Phiolebefüllte. Da ich das Rauchen im vergangenen Herbst ultimativ aufgegeben hatte, lehnte ich sein freundliches Angebot, einen Zug zu nehmen, zunächst ab. Holm insistierte. Ein Flug dieser Länge, in dieser Enge sei nur auf diese Weise durchzustehen: Das Öl in seinem Apparat stamme aus dem persönlichen Vorrat des Bruno Brunnet. Destilliert aus einem knappen Pfund Purple Haze – allerdings nach biologischen Richtlinien in Brandenburg angebaut und von daher auch frei von Pestiziden. Die Frau mit dem Baby sagte auch nicht Nein. Als sie an dem Silberrohr saugte, leuchtete am Ende eine orangefarbene Diode auf, um Tabaksglut nachzuahmen. Nikotin war in dem befremdlich kühl schmeckenden Luftstrom keines enthalten; aber eine extreme Dosis THC . Und es war um Entscheidendes gemütlicher, hier, auf den vergleichsweise komfortablen Sitzen zu kiffen als im Stehen und allein in der Toilettenkabine (mit bangem Blick nach den ominösen Rauchmeldern, deren exakter Sitz doch nie zu entdecken war).
Und man kann gegen das Kiffen sagen, was man will – es macht stumpf, es macht paranoid und es kann Psychosen lostreten –, alles korrekt, stimmt so, hatte ich um mich herum immer wieder erlebt, aber: seit es nicht mehr stinkt, das Kiffen, sollte mit jedem Ticket der Economy Class ein E-Joint verteilt werden. Denkbar wäre auch ein hierfür angefertigtes Kästchen, ähnlich dem, wie Alfons es aus Silber besaß, mit dem Logo der Fluggesellschaft versehen – als adäquates Pendant zu den Flauschsocken und Schlafbrillen für die Inselbesitzer im Bug.
Im darauffolgenden Dezember würde Black Swan in die Kinos kommen. Ein grandioser Film, der beste, den ich seit langer Zeit geschaut haben würde, und unter anderem auch endlich mal
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