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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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Margiela machen, der ja nach seinem Entschluss, der Modebranche den Rücken zu kehren, das Restaurieren von Gemälden des siebzehnten Jahrhunderts erlernte. Damals, als Julia nach ihrem Exil in den Savoyen endlich zurückgekehrt war und wir uns die immerwährende Sorge umeinander versprachen, da hatte ich ihr von Margiela erzählt. Damals freilich noch aus der Perspektive von einem, der um die Welt flog, um über Mode zu schreiben – so lange ist das nun schon her! Mittlerweile schien es mir richtig, Margiela nachzufolgen. Denn mit seiner letzten Schöpfung, dem Parfum namens Untitled, das Julia und ich verwendeten, hatte er den ersten Gegenstand unserer gemeinsamen Ausrüstung geschaffen, grundlegendes Zeichen unserer Zusammengehörigkeit. Beim Kauf des Flugscheins hatte ich nach einemoffenen Datum für den Rückflug verlangt. Ich hatte keinerlei Vorstellung davon, wie lange ich in Australien bleiben müsste. Die Miete für meine Wohnung wurde im Dauerauftrag überwiesen, in Sydney würde ich mir eine australische SIM -Karte für das iPhone kaufen – was brauchte ich noch?
    Meine Therapeutin hatte mir zum Abschied eine Ersatzmine für den Space Pen geschenkt. So etwas hätte ich nie von ihr erwartet, auch wenn wir uns schon so lange kannten und unvermeidlicherweise einige extrem tief gehende Gespräche geführt hatten. Als ich das kurze, dünne Ding ausgewickelt hatte, konnte ich nicht anders: Ich sah sie an und meine Hand setzte zuerst zur Landung auf ihrer Schulter an, schließlich legte ich sie ihr auf den Unterarm. Ich hatte Tränen in den Augen und zum Teil waren mir die aus Rührung gekommen, zum Teil aber auch weil ich dachte: Du hast ja keine Freunde mehr, deine Therapeutin steht dir näher als jeder andere. Sie legte ihre Hand, diesen lauwarmen Tintenfisch, auf meine, die da noch immer ihren Arm festhalten wollte, und dazu sagte sie: Ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit. Als ich auf die Straße trat, fühlte ich mich von dem Space Pen, der in meiner rechten Hosentasche lag, beschützt, so als sei das gar kein Kugelschreiber, sondern die Waffe eines ritterlichen Ordens.
    Eben nicht schlagartig, sondern: beschlichen wurde ich von dem Gefühl, seit Ewigkeiten nicht mehr unter Menschen gewesen zu sein. In einem Film hätte man das so inszeniert, dass mein Sitznachbar ein fürchterlich dicker Mensch gewesen wäre, aber in Wirklichkeit war das halt nicht so. Er war von unauffälligem Wuchs, seine Beine kaum länger als meine und dennoch suchten wir beide nach einem Weg, unsere Füße unter die Sitze unserer Vorderleute schieben zu können. Dass unsere Unterarme inRuhestellung auf den angrenzenden Lehnen beieinanderlagen, fand ich störend, aber es war nicht zu ändern. Dass ich die letzten – tja: Monate in ziemlicher Abgeschiedenheit verlebt hatte, das wurde mir aber an etwas anderem als an der erzwungenen Nähe zum Nachbarn bewusst: Ich sprach mit mir selbst. Das machte ich seit Längerem schon, aber hier fiel es auf. Und mir war es wiederum nicht aufgefallen, dass.
    Paradoxerweise kommt man sich beim beengten Sitzen eben überhaupt nicht näher. Mein Nachbar überwand seine Scham. Als ich mein iPad aus der Umhängetasche zog, sprach er mich an: Habe ich auch.
    Ich hatte ja nie verstanden, wobei es sich bei den sogenannten geschlossenen Fragen handelte, die es beim Führen von Interviews unbedingt zu vermeiden galt. Bei dem Habe ich auch schien es sich aber demzufolge um eine offene Feststellung zu handeln, denn ich spürte den Druck, etwas darauf zu erwidern. Es zu überhören wäre mir garantiert als Arroganz ausgelegt worden – kein gutes Signal zu Beginn einer ausgedehnten Flugreise –, meine Gesprächsbereitschaft wollte ich aber auf gar keinen Fall signalisieren, meine Therapeutin riete mir zu einer, wie sie sagte: klaren Ansage (also womöglich Freut mich. Aber um ein Missverständnis zu vermeiden: Ich will mich nicht unterhalten. Eventuell später, aber jetzt bitte nicht ), ähnliche Szenarien probierte sie mit mir in Rollenspielen, aber in der Wirklichkeit funktionieren diese in der Therapie erlernten Strategien nicht nur nicht, sondern dann wirkt man tatsächlich geistesgestört. Und Julia? Sie verabscheut den Small Talk mindestens ebenso sehr wie ich, besitzt aber eine ungleich größere Souveränität, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Zur Not bist das ja nicht du, sondern lediglich dein Körper, mit dem er sich unterhalten will, würde Julia gesagt haben.Also antwortete ich freundlich. Und

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