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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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nicht gebrauchen wollte. Aber trotzdem: Gehirntiere waren eben so. Zumal es damals, auf der Insel namens Favignana, sich so ganz anders, ja: angefühlt hatte. Das mit dem Anfühlen war mittlerweile virulent geworden. Die Nachrichten aus der Gehirnforschung waren ins Feuilleton vorgedrungen, bis in Zerstreuungslektüren wie etwa Neon (auf dem iPad in Julias Schoß) oder den New Yorker (die App hatte sie auch) hinein, sodass man nirgendwo noch eine Pause finden konnte vom Fühlen. Wie etwa politische Situationen sich angeblich auswirkten auf das sogenannte Gefühlsleben, ein regelrechter Gefühlsterror, so fühlte sich das für sie an. Aber das war eben auch interessant. So als ob ich das geschafft hatte, das komplette Geistesleben des Planeten mit meinem Willen zu infizieren. Der aber so gar nicht der Julias war. Denn: Frederick war das Punkt Punkt Punkt
    An Favignana denken. Und an all die anderen Orte. Damals hatte Frederick sie aus einer düsteren Welt hervorgeholt. Jahre waren das gewesen. Die Jahre nach AddisAbeba. Eine Zeit, die in einer Kapsel steckte, da konnte sie, da wollte Julia auch nie wieder hin. Wissen, was drinsteckt: uferloses Gefühl des Verschwindens. Ein Verschwinden, das niemand mitbekommt, auch sie nicht, ein Sekundentod. Wie es in dem englischen Roman völlig zutreffend stand: And then everything Emma ever knew or felt was gone. Weg. So hatte sie sich gefühlt, als Alexander dort vor ihr saß, sitzen geblieben war, in den Minuten, da sie ihn mit ihrer Abreise bedroht hatte und er, nach Landesart mit den Händen essend, ihr eine Gursha anbietend (das Ironische hatte er von ihr): na gut. Scheinbar einfach so. In einem Gefecht hatte es diese Situation gegeben, dass ihr Kontrahent, größer als sie, eventuell auch stärker, aber zumindest mit längerem Arm, sie mit seinem Stick derart in Schach gehalten hatte, dass sie nichts mehr gegen ihn ausrichten konnte, als sich zu wehren. Da noch einmal, aber von da an nie wieder! Das Manöver wurde Bindung genannt. Und als ob sich ihr Herz dadurch gespalten hätte, sie konnte ja wirklich für beide empfinden – für ihn und für ihn. Aber anstrengend war das. Manchmal. Oftmals auch: sehr. Warum das dann aushalten? Eher ging es ja darum: Was, wenn nicht?
    Sie musste sich, in sich, als Bild ihrer selbst, auf die Seite drehen, liegenderweise, dabei den Rücken ihrem erzählenden Selbst zugewandt, um die Kennenlerngeschichte hervorholen zu können. Das war an einem dunklen Tag in Bremen gewesen, als sie in Begleitung eine Bar betreten hatte, in der sie im Verlauf der nächsten Stunden einer ganzen Gruppe von Fremden vorgestellt worden war. Obwohl sie liebend gerne allein war, bezeichnete Julia sich dennoch als eine gesellige Person. Es war sogar so, dass sie in Gesellschaft nicht nur besonders gut, sondern überhaupt erstfunktionierte. Zumindest, was allgemein unter diesem Begriff verstanden ward. Und so verlief dieser sogenannte Abend dann auch. Sie kam gut an. Allseitiges Interesse an ihrer Person. Eine längere Zeit des globalen Desinteresses an Männern lag hinter ihr. Dass die nun abgeschlossen sein würde, das hatte sie nicht kommen sehen. Überraschungen liebte sie sehr, aber besonders dann, wenn sie dabei die Oberhand behalten konnte. So schien ihr Frederick klar als der am wenigsten von seiner selbst eingenommene Mann in der Runde. Sie hatten später immer wieder darüber gesprochen: dass sie ihn ungefährlich gefunden hatte, von Anfang an. Aber das gerade darin das Wunder bestünde: Total verknallt, das kann ja jeder. Sich der Leidenschaft opfern – aber wenn die erst abflachte, bei sinkendem Oxytocinlevel? Ihre Beziehung war hingegen immer nur besser und intensiver geworden. Zuneigung als Prozess. Und eben gerade nicht unweigerlich. We took it from there. Von diesem Bremer Abend, von ihrem Kennenlernen hatten sie beide kaum etwas in Erinnerung behalten. Beziehungsweise: In ihren Erzählungen spielte dieser Moment, Stunden waren es wohl, keine Rolle. In Gesprächen nahmen sie das immer wieder als Zeichen des Besonderen, mit dem sie ihre Beziehung auszeichnen wollten: Andere zogen sich ja mühsam daran hoch, wie schön das einst gewesen war, wie magisch. Bei ihnen war es anders, besser, denn wo andere zurückblicken mussten, schauten sie beide, sie selbst wie auch Frederick, mittlerweile gern nach vorn: auf ein Leben, das wie ihre Liebe immer besser werden würde. Klar, es hatte Probleme und problematische Phasen gegeben. Julia wollte jetzt nicht an

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