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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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das Bücherregal denken. Schon merkwürdig: Je häufiger man an etwas nicht dachte, desto häufiger fiel es einem ein.
    Auf Favignana waren sie sich noch sehr fremd gewesen. Extrem. Julia kannte sich gut und wusste von daher, dass es mit ihr am schönsten war, wenn sie sich abgelehnt glaubte. Oder noch nicht angenommen – was ja auf das Gleiche hinauslief. Die Tage dort waren auf die ihr liebste Weise verstrichen. Nämlich tatsächlich so: streichelnd, wie der Luftzug des warmen Nachmittagswindes, der die Vorhänge ihres Hotelzimmers blähte. Als es dämmrig geworden war, waren sie aufgestanden, und beim Zurückkommen vom Duschen fand Julia den toten Gecko im Bett. Frederick hatte ihr versichern können, dass der winzige Kerl rasch und ohne Schmerzen von ihrem schlafenden Körper erstickt worden war. Und er hatte sich versagt, etwas in der Art hinzuzufügen, wie: dass dies doch ein schöner Tod gewesen sei, unter ihrem wunderschönen Leib begraben – oder Ähnliches. Es gab keinen schönen Tod, das wussten sie beide. Und Reptilien fehlte ein limbisches System, die konnten gar keine Gefühle entwickeln. Selbst wenn das Muttertier, aus dessen Ei der tote Gecko einst gekrochen, von ihrem Platz hoch oben am Mittagsschlafvorhang aus zugeschaut hätte, wie die im Schlaf sich herumdrehende Julia ihren Nachwuchs erstickte, hätte das Reptil das noch nicht einmal nicht nur nicht bedauernd, sondern überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen können; sie hätte ihn ja nicht nur nicht als Artgenossen erkennen können, sondern es fehlte ihr das Bewusstsein für solcherlei Zusammenhänge und überhaupt. Woher denn dann dieses Mitgefühl für ein Tier, das nicht imstande war, zurückzufühlen? Frederick hatte den Kadaver in einen Briefumschlag des Hotels gebettet und nach draußen gebracht. Wohin dort – in einen Mülleimer oder begraben, das hatte er ihr nie gesagt. Und für sie war es damals auch nicht wichtig gewesen. Sie war so froh gewesen, wie gut es ihm gelungen war, sie zu beruhigen. Ihr alle Angst zu nehmen, den Ekel auch.Wie schnell sie das wieder hatte vergessen können – nicht vollends natürlich, dazu war die emotionale Beteiligung an dem Anblick des toten Tierchens zu heftig gewesen. Aber das scheußliche Bild in den regulären Gefühlshaushalt eingliedern zu können: das hatte sie Frederick zu verdanken gehabt.
    In einem Paper, an dem sie bis zu jener Zeit mit einem iranischen Kollegen gearbeitet hatte, gab es eine Passage, an die sie von da an immer wieder denken musste: Total self-sufficiency turns out to be a daydream whose bubble is burst by the sharp edge of the limbic brain. Stability means finding people who regulate you well and staying near them. Von dem Nachmittag mit dem Gecko an waren sie und Frederick ein Paar. Was für Julia nicht unproblematisch war, denn anfänglich hatte Frederick noch einige Bedürfnisse geäußert, die über seine Funktion als Stabilisator hinausgewiesen hatten. Dann hatte sie sich bedrängt gefühlt, denn das ursprünglich Schöne, dass er sie begehrte, sie sich aber entziehen durfte, wenn ihr nicht danach war, wurde verdeckt. Sie musste an Irving Penn denken und an die Tötebucht. Einmal hatte sie mit Fernbedienungen nach ihm geworfen, das zweite Mal sich in ihr Badezimmer eingeschlossen und dort alles abmontiert und in Stücke zerlegt, sogar die Kloschüssel. Lauter gleich große Scherben. Dafür hatte sie den ganzen Abend und die Hälfte der Nacht gebraucht. Dann war sie aus dem Zimmer getreten und erschien ihm wieder ganz sanft. Julia war nicht verrückt. Aber sie brauchte ihre Freiheit, das sah er nun ein. Und dass sie durch sein Klammern derart die Kontrolle über sich und damit auch alles andere verloren hatte, war Frederick nicht nur peinlich und tat ihm sehr leid, es war ein Alarmsignal! Von da an ließ Frederick sie, so gut es ihm möglich war, in Ruhe.

    Manchmal machte sie sich Sorgen um ihn. Dass er nicht bekam von ihr, was er brauchte. Er machte sich andauernd Sorgen um sie. Die waren unnötig, aus Julias Sicht, aber daraus entstanden auch neue Bande. Und zwar solche, die sie als einigermaßen erträglich empfinden konnte, da sie ihr nichts abverlangten, denn an ihr angedockt bleiben zu dürfen; lediglich von ihm zu ihr hinführten, nicht von ihr zu ihm zurück. Sie wollte unbedingt, dass es ihm gut ging. Als eine Möglichkeit schien es, ihm so wenig Anlass zur Sorge zu geben wie möglich. Und damit wurde, unter dem Schirm der verabredeten Freizügigkeit, aus ihrem

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