Untitled
Einladung bei einem Arbeitskollegen Fredericks feststellen durften, als der Gastgeber das berüchtigte Ofengemüse, das so schlimm schwer im Magen lag, auftischte und – das allerdings ließ Julia ihm als australischen Spleen durchgehen: es als Eigenkreation behauptete. Dazu gab es hier aber zweifelsohne die besseren Weine (Penfolds Bin 128) und die Gastgeber gingen auch nicht davon aus, dass man sich die Getränke mitbrachte.
Nach einigen erfolglosen Streifzügen durch die Secondhand-Geschäfte Bremens hatte sie damals festgestellt, dass es bei Frederick nicht direkt Geiz war, der ihn vor der Anschaffung von etwas Schönem zurückhielt, sondern eine Kombination von erlerntem Verhalten und seinem zunehmenden Drang, alles so zu machen wie sie. Eigentlich liefen beide Züge auf dasselbe Gleis zu. Kein schönes Bild. Sah er sozusagen von Haus aus nicht ein, weshalb er es sich schön machen sollte, wenn es auch so ging (er den Aufwand nicht wert war), so kam nun verstärkend seine Angst hinzu, er könnte sie verlieren, wenn er ihr nicht exakt die Umstände böte, in denen sie sich wohlfühlen könnte. Wie aber sahen die wohl aus? Das wusste sie doch selbst nicht einmal! Jedenfalls nicht so, dass sie beim Betreten seiner Behausung das Gefühl hatte, er habe anlässlich ihres Besuches seinen Geschmack in den Keller geräumt und versuche nun, ihre freundliche Leere nachzubilden. Denn die gesammelten und aufbewahrten Dinge gab es ja weiterhin, er ließ einfach bloß die sie bergenden Möbelstücke weg, was eben nicht Leere ergab, sondern: Chaos. Und Chaos konnte Julia nicht ausstehen, das machte sie nervös. Es kam zu Auseinandersetzungen, die anders verliefen als die zwei ursprünglichen, heftig Verlaufenen. Nun, da erste Bindungen entstanden waren, konnte sie sich nicht unbeschädigt losreißen. Fredericks präzise Argumentationsweise, geschult durch jahrelange Beschäftigung mit Spieltheorie und Handlungsanalyse, erzeugte bei ihr einen wohltuenden Effekt, der sie an die rotierenden Spiralpupillen der Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch denken ließ. Für Julia war das keine unangenehme Vorstellung, denn zu dem schmalen braunen Leib des Jungen Mowgli hatte sie sich als Kind schon hingezogen gefühlt. Und während Frederick analysierte, weitete in Julia die Freundlichkeit sich aus. Nach solchen Gesprächen, einst nannte Julia sie Auseinandersetzungen, mittlerweile war es ihr eher peinlich, dass in ihrer Beziehung nach so vielen Jahren nicht gestritten wurde, also bezeichnete sie die Gespräche mit Frederick nun manchmal vor Freunden als Streit, fühlte Julia sich besser. (Die Furcht, gleich unter die Brandstätte einfahren zu müssen, war besänftigt.) Sie fühlte sich dann gestärkt, selbstsicherer, die Welt war doch in den Griff zu bekommen. Dabei war objektiv betrachtet so gut wie nichts geschehen. Aber daran durfte sie bloß nicht denken, sonst schrumpfte das schöne Gefühl zusehends weg. Zu Beginn war das ihre schlimmste Erfahrung gewesen: dass es nicht bei ihr bleiben wollte. Aber das gab sich. Mit jeder ihrer Auseinandersetzungen hielt der Effekt länger an. So als ob Frederick da einen Webstuhl bediente, und die Sätze waren wie das Schiffchen, das dabei hin flog und her. Daraus wurde Zeile für Zeile etwas verdichtet, das sie nach einigen Jahren sogar sehen konnte. Da stand sie auf und nahm es selbst in die Hand. Ihre Unabhängigkeit ließ sich entfalten zum Segel. Sie wartete nicht darauf, hoffte auch nicht, aber ahnte, dass ein Wind sie forttragen wird.
So vergingen schöne Jahre. Julia hatte nie vorgehabt zu heiraten, aber als Frederick es ihr vorschlug, fehlte ihr ein Gegenargument. Schließlich wohnten sie so gut wie zusammen. Jahrelang schon. Die Auseinandersetzungen waren wie gesagt von wohltuender Wirkung, keinesfalls destruktiv. Sie schmiedeten Pläne, nicht alle ließen sich in die Tat umsetzen. Aber definitiv hatten sie etwas miteinander vor. Warum also nicht auch das?
Weil es unnötig war, das wusste Julia. Und sagte es nicht. Ihre Freiheit würde dadurch nicht angetastet, versprach sich Julia. Für den Notfall gab es ja die zwei Koffer, die würde es immer geben, es gab ihren Pakt mit sich selbst. Die Institution war ihr doch egal – eigentlich. Wie sämtliche Institutionen! Es ging ihr um Frederick. Frederick war das Wichtigste. Und wenn er sich nun mal sie zur Ehefrau wünschte.
Aber warum bloß, fragte sich Julia. Und behielt das, wie vieles andere, für sich. (Beiläufig, so die ihr von Julia
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