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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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danach noch darauf hingewiesen, dass da Sand auf der Straße lag. Schön hatte das ausgesehen: eine sichelförmige Verwehung.
    Julia liebte das Meer, seinen Geruch und die Farbe, somit auch alles drum herum, was mit dem Meer zusammenhing: Salz und Wärme, Frotteehandtücher, der Duft von Sonnenmilch, Doppelkekse, die beim Abbeißen knirschten, weil sie gewürzt waren mit einer Prise Sand. In den ersten Tagen hatten sie beide noch darauf geachtet, wo überall Sand herumlag auf den Straßen und Wegen in Sydney. Nirgendwo rote Erde. Sogar die Pflanzen wuchsen im Sand. Mittlerweile fiel der Sand Julia nur noch selten auf. Wenn der Sand an besonderen Orten auftauchte zum Beispiel. Wie neulich, in der blank polierten Schalterhalle dieser Bank.
    Sie hatten nun wieder andere Themen. Das gehörte mit zum Eingewöhnen, dass man sich nicht mehr über das Fremde wundert, sondern die Gespräche sich wieder mit den Alltäglichkeiten beschäftigen. Und bald war alles beinahe wie zuvor in Berlin. Beinahe. Die neue Umgebung war wie eine fremde Sprache. Allerdings war Sydney nicht wirklich exotisch, denn alles hier, die Straßen und Häuser, die Menschen und Autos und Schilder und Speisen, das Vokabular dieser fremden Sprache erinnerte wie gesagt immer an etwas, das sie bereits kannten, oder das zumindest ihr, Julia, vage vertraut erschien. Von daher war der Prozess der Eingewöhnung hier doch nicht mit dem Erlernen einer Sprache zu vergleichen, sondern allenfalls mit dem eines Dialektes.
    Das Haus hatten sie leer belassen. Beziehungsweise: so spärlich möbliert, wie es ihnen übergeben worden war. Das Waschmittel, das Julia in Berlin verwendet hatte und von dem sie sicherheitshalber eine Vorratsflasche per Kurier an die Adresse in Sydney geschickt hatte, wurde hier unter einem anderen Handelsnamen verkauft, aber die enthaltene Mixtur an Duftstoffen war identisch. In den ersten zwei Tagen nach der Ankunft ließ sie die Maschineziemlich ununterbrochen laufen, dann verströmten Kissen, Decken, Laken, Vorhänge, Geschirrhandtücher den heimatlichen Duft. Das nichtssagende Bild, das über dem Bett hing, hatte sie abgenommen, aber der Anblick eines hellen Fleckes auf der Wand erschien ihr als noch störender (im Sinne eines Dekorationswillens). Ein Bild, beinahe gleich welches Motiv, fiele ihr bald nicht mehr auf. Ihre beiden Koffer stapelte sie gegenüber dem Bett an der Wand auf. Die Schrankbretter waren mit Zeitungsseiten bezogen, auf dem mittleren sah man den Qualmberg und das World Trade Center. Frederick störte das nicht. Er fand es kurios.
    Sie konnte spüren, dass er aufgehört hatte zu lesen und gleich das Buch zuklappen würde. Das spürte sie, ohne hinsehen zu müssen. So sehr waren sie beide in sync. Manchmal wurde es Julia zwar nicht eben schmerzlich, aber trotzdem bewusst, wie überaus zivilisiert ihre Beziehung zueinander war. Über alles konnten sie reden, alles wurde zur Sprache gebracht. Auch Dinge, die in ihrem unausgesprochenen Zustand, in den Formen von Wünschen oder Ängsten, beherrschend gewirkt hatten. Im Gespräch mit Frederick wurden sie nicht zerkleinert, aber – anders ließ sich das Gefühl nicht ausdrücken: zweidimensional gemacht.
    Und so war dieser Satz: Ich hoffe, dass uns diese Reise wieder näher zueinanderbringt, den sie an dem Morgen nach der Nacht, in der sie beschlossen hatten, das zu machen, das mit Australien – als Julia ihren Wunsch, diese verrückte Hoffnung, ihm gegenüber geäußert hatte, war das plötzlich bloß noch ein Satz gewesen. Und das gesamte Hintergebäude, ihre Angst und das Gefühl des Mangels und der Trauer über Verluste war darin verschwunden wie ein Wurm in seinen Apfel. Und Frederick hatte sie angeschaut und sich ein bisschen gewundert. So als sei selbst das unnötig, so als sei gar nichts weiter geschehen.
    Dabei konnte das doch nicht sein, dass ihm entgangen war, dass ihre Beziehung sich verändert hatte. Oder war das wie mit dem Altern, dass man es selbst gar nicht mitbekam, wie man langsamer und langsamer wurde (erst wenn man gebrechlich war, fiel es einem auf, aber dann war es zu spät). Und am Bruch waren sie längst noch nicht angelangt – weder aus ihrer Sicht noch aus seiner anscheinend. Sosehr sie sich als eins empfanden – so genau wusste man eben doch nie, was der andere erlebte, wie er es empfand.
    Gehirntier: Das war eins dieser Worte, die Julia von mir hatte (aus einem Buch von Arno Schmidt), und eines von denen (von mir), die sie jetzt gerade so gar

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