Untitled
Auerbach so schön schrieb. Sondern klammernderweise. Unendlich sanft. Gegen Fredericks Willen zur Autoplastizität bestand selbst Barbapapa noch aus Beton. Und sie wurde das schlechte Gewissen nicht los: War sie nicht doch Schuld an seiner Anformungslust? Er war ja nahtlos von der einen auf sie gehüpft, sozusagen (wobei, fairerweise war es ja so gewesen: dass sie ihm die Fingerspitze so lange hingestreckt hatte, bis er, des Ausweichens müde, eben daraufgekrabbelt war). Sie hatte ihn gebraucht. Sie schuldete ihm etwas. Dazu kam die Zeit. Die schönen Jahre, die hinter ihnen lagen. Die Jahre voraus, die schön werden sollten. Die Interessen. Die Freunde. Sie wohnten zusammen! Sie schmiedeten Pläne. Und für Julia passte das alles. Was nicht passte, würde von Frederick optimiert. Sie fühlte sich glücklich – war sie es auch?
Noch an dem Nachmittag jenes Tages im Februar vor über einem Jahr, dem Elften Zweiten Zweitausendundzehn, hatte sie beim Eintippen eines fachlichen Gedankens laut vor sich hin gedacht: Ich bin glücklich. Und zugleich war ihr klar geworden, dass ihr Glück jetzt nicht kleiner werden dürfte, sonst fühlte sie sich nicht mehr gut damit. Das wusste sie aus den Jahren vor Frederick. Aber Angst hatte sie deswegen noch keine verspürt. Dazu war an diesem Nachmittag kein Platz gewesen, denn sie hatte sich auf einen bunten Abend gefreut. Ihr Freund Sascha hatte sie zu einer Restauranteröffnung eingeladen, das hatte sie lustig gefunden – eine lustige Idee! Was sollte sie dort, interessierte sie sich doch gar nicht für Essen, aber Lust, unter Leute zu kommen, Leute, die sie womöglich noch nicht kannte, die hatte sie schon. Denn das war ein ganz wichtiger Grund für Julia, weshalb sie Berlin nicht verlassen wollte (auch wenn Frederick immer wieder mit dem Thema Zusammenführung ihrer beider Karrieren in einer anderen Stadt anfing). Hier gab es ab und an eine Abwechslung. Ein Nachtleben beispielsweise. Denn aus ihrem beruflichen Haferflockenleben herauszukommen – denkenderweise wie erst recht in der Tat: Das war gar nicht so einfach. Das war sogar ziemlich vertrackt. Aber Julia hatte eben Glück. Davon ließ sich ja seltsamerweise nichts stückweise verlieren. Man hatte es entweder, oder es ging ganz weg, dann hatte man Pech. Ein bisschen Glück, das war wie ein bisschen schwanger.
Das Bücherregal.
Gab es ein bisschen verliebt?
Plo-tiehn!
Blitzartig war die Zeit ihres Dämmerns in der Talstation der Bergbahn vorüber gewesen. Plötzlich war es wieder Winter – ja endlich! Die Sonne, der Himmel, Tiefschneeglitzerte wie verrückt. Unversehens befand Julia sich dort auf dem Gipfel und drohte beinahe schon wieder hinabzustürzen in den weißen Trichter, der sich unter den Spitzen ihrer Skier auftat – um sich ihm mit einem Glücksschrei anheimzugeben, dem schwindelnden Abhang, auf der schwarzen Piste hinab.
Rauschen in den Ohren – Speed! Das Farbsehen setzte aus. Stille. Weite. In ihr und um sie herum. Nichts mehr. Nichts anderes.
Wie angenehm. Quatsch: wie wahnsinnig, wie wahnsinnig schön!
Wahnsinn.
Zahnpasta – lecker.
Entferne sie: küssenderweise – los!
Gut. Nicht aufhören!
Weiter.
Noch einmal?
Von vorn. Und als er ihr sagte, dass er sofort mit ihr aufs Klo wollte, um dort weiterzuknutschen, flüsterte Julia bekanntlich: Das will ich auch! Weil das die Wahrheit war und zugleich Ausdruck eines Wunsches, den sie bis dahin noch gar nicht als den ihren erkannt hatte.
Wie konnte etwas, das sich gut anfühlte, schlecht sein? Als die Nachricht eintraf, war es früh am Morgen gewesen, sie lag allein in ihrem Bett, und die Stunden waren so vergangen, wie es hieß: Sie war ihren Gedanken nachgegangen. Die strebten voran, sie folgte denen einfach, ohne Widerspruch. Neugierde war es nicht, es war ein sanftes Gefühl. Sie ließ sich treiben durch die Weiten ihrer inneren Welt. Da war dieses Bild, sie hatte es vor sich: das Bücherregal und der Kuss vor gekachelten Wänden. Wie von Robert Doisneau. Wo blieben die Farben? Es war schöner so. Noch schöner. Sie nahm das Telefon. Da war bereits eine Verbindung, die sie nicht mehr aufbauen musste, bloß noch bestätigen. Julia fühlte sich verzaubert. Sie musste grinsen, als ihr das klar wurde, dass sie soeben gedacht hatte, dass sie verzaubert worden war. Aber das Gefühl war eben das: Verzauberung. Non sedens sed ardens. Aber in ihr hatten sich Regler verstellt. Sie stellte sich diese Schaltknüppelchen mit Gold überzogen vor und so
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