Untitled
seine liebevolle Schwiegermutter schwört sogar, daß sie ihn wiedererkennt. Darüber ist Mattia Pascal glückselig, in seinem Inneren vollzieht er die Beisetzung, er tauft sich auf den Namen Adriano Meis und beginnt fröhlich ein neues Leben, ohne Schwiegermutter, ohne Gattin. Könnte Signor Cusani nicht die Geschichte gelesen und versucht haben, Mattia Pascal Konkurrenz zu machen, und zwar mit einer einfacheren und sagen wir: moderneren Methode, nämlich mit der Todesanzeige auf der vierten Seite? Von woher er die Idee auch immer haben mag, sie ist ein anmutiges Zeichen unserer Zeit. Die Menschen langweilen sich nicht mehr zu leben, sondern zu sehen, daß sie leben, und sie versuchen auf jede nur denkbare Weise, von der Namensänderung bis zum vorgetäuschten Selbstmord, sich beim Sterben und bei der Auferstehung zuzusehen. Vor fünfzig Jahren, als die Romantik auf ihrem Höhepunkt war, brachte sich der ›blasse, der fatale‹ Mann um aus Vergnügen, vielleicht auch aus Neugier; der moderne Mann, rundum gesättigt, verkündet, tot zu sein. Der Fortschritt steht auf der Seite des Lebens: bewundern wir ihn also.«
Wenn dem Marchese Cusani die Idee von der Inszenierung seines vorgetäuschten Todes wirklich durch die Lektüre von Pirandellos Roman gekommen sein sollte, ist er einem grundlegenden Irrtum aufgesessen: im Glauben, er würde sich von einer erfundenen Geschichte inspirieren lassen, meinte er, die Entdeckung der Wahrheit, das heißt, daß sein Tod nur vorgetäuscht war, wäre nur durch eine Untersuchung möglich, die der Fährte der Phantasie folge. Etwas, was für die Polizeibehörden des Königreichs nahezu unmöglich war.
Er wußte auch nicht, daß Mattia Pascal durchaus kein Phantasiegebilde war, sondern einerseits so etwas wie die mögliche Lösung der äußerst unangenehmen Situation, in die das Schicksal den Autor gestürzt hatte, und andererseits eine Art Tagebuch über ein bereits stattgehabtes Ereignis.
Mit anderen Worten: die Verwandlung von Mattia
Pascal in Adriano Meis ist nichts weiter als der - hier zweckmäßigerweise in einen Roman gebrachte - Vorgang des Sterbens des einstigen Luigi Pirandello, Sohn von Stefano Pirandello, und seiner schließlichen Wiedergeburt als Luigi Pirandello, vertauschter Sohn und mithin ohne eine reale Vaterschaft.
Vielleicht ist die von mir gebrauchte Formulierung »eine Art Tagebuch« übertrieben. Besser, einige Abschnitte aus der Textanalyse von Giuditta Rosowsky zitieren.
»Ein Titel, bestehend aus einem Eigennamen, dem im Italienischen das einsilbige Wort für einen verstorbenen Menschen vorangeht, also ein Zeichen des Todes und der Abwesenheit, ein Roman, geschrieben in der ersten Person Singular, also ein Zeichen von Anwesenheit: im Spiel der Verweise, das diese erste Beziehung für den Leser schafft, modulieren sich die Fragen über die Verflechtung der Erzählung und über die Bedeutung des Schreibens. Des Schreibens als Gestus eines Lebens, der sich im Buch erfüllt, des Schreibens als Arbeit einer Rekonstruktion und des Überdenkens, sofern die Partikel ›fu‹ (verstorben) im italienischen Titel eine Veränderung in der Figur bedeutet, des Schreibens als Wiederholung; was immer auch seine Funktion ist, das Problem der Autobiografie liegt hier, in der Beziehung, die zwischen zwei klar unterschiedenen Erzählsituationen und zwei Ebenen verläuft, deren Ineinanderwirken die Gestaltung des Textes umreißt.«
Der eine oder andere Kritiker wirft dem Roman vor, seine Geschichte sei derart unwahrscheinlich, daß er ins Absurde abstürze. Pirandello nimmt sich das zu Herzen, und in den ab 1921 erscheinenden Auflagen des Romans fügt er eine Anmerkung über die Skrupel der Phantasie hinzu, in der er zu seiner Verteidigung gleich anfangs zwei Ereignisse berichtet, deren Quellen er nennt. Das erste betrifft die Geschichte des Mr. Albert Heintz von Buffalo, der eine zwanzigjährige Geliebte hatte und eine Ehefrau und nicht wußte, ob er sich für die eine oder die andere entscheiden sollte. Daraufhin hatte er den herrlichen Einfall, beide Frauen zusammenzurufen und mit ihnen die Situation zu diskutieren. Die Begegnung nimmt bald schon den Charakter einer Tragödie an, und die drei gelangen zu dem Schluß, sich das Leben zu nehmen. Mrs. Hertz, eine Frau, die ihr gegebenes Wort hält, kehrt nach Hause zurück und erschießt sich. Ihr Mann ist dabei, das gleiche zu tun, als ihm bewußt wird, daß mit dem Tod seiner Frau jedes Hindernis für
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