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erteilen und deutschen Sprach unterricht für italienische Schüler. Außerdem stellt er den Antrag, als Prüfungskommissar außerhalb von Rom geschickt zu werden, weil er mit den Sonderzulagen etwas auf die Seite legen kann, und seinem Antrag wird entsprochen.
Doch so wahr es einerseits ist, daß der Ruck an der Eisenkette ihn aufgrund seiner Heftigkeit, vor allem aber aufgrund seiner Unvorhersehbarkeit fast erstickte, ist es andererseits ebenso richtig, daß mit diesem Ruck die Halskette endgültig zerbrochen ist. Dieses letzte Element, das ihn mit seiner Familie verband, existiert nicht mehr, jetzt ist er wirklich der vertauschte Sohn, der seinen Weg selber gehen muß, und zwar mit dem einzigen, wirklichen Reichtum, über den er verfügt: dem Schreiben.
Und just in den Tagen bittet ihn Giovanni Cena, der Herausgeber der ›Nuova Antologia‹ um einen Roman, den er in Fortsetzung in seiner Zeitschrift veröffentlichen will. Um Luigis Lust anzustacheln, überweist er ihm einen Vorschuß von tausend Lire. Das wäre nicht nötig gewesen. In den freien Stunden, wenn er weder öffentlich noch privat unterrichten muß, stürzt sich Luigi, der sich bäuchlings neben seiner Frau aufs Bett geworfen hat, die sich nicht bewegen kann, verzweifelt in die Niederschrift einer Geschichte, die er sich Seite für Seite erfinden muß.
Er beendet sie im November desselben Jahres: und während er dies seinem Freund Orvieto mitteilt, bietet er ihm Novellen und kleinere Gedichte für ›Il Marzocco‹ an. Er kann sich keine Ruhepause gönnen.
Der Roman erscheint in der ›Nuova Antologia‹ zwischen April und Juni 1904, dann wird er im selben Jahr noch in Buchform veröffentlicht. Der Roman ist gleich ein großer Erfolg, und das ist die so lange erwartete und ersehnte Anerkennung.
Und von dieser unverhofften Aufnahme macht er gleich seinem Freund Orvieto Mitteilung.
Noch während der Drucklegung ist er für die französische Übersetzung von Henry Bigot angefordert worden, der ihn wahrscheinlich in der ›Revue de Paris‹ veröffentlichen wird, und danach in einem Band; und auch aus Deutschland bin ich danach gefragt worden, von Signora Nina Knoblich, die bereits zahlreiche Novellen von mir übersetzt hat.
Nur daß Matilde Serao wollte, daß eines ihrer Bücher in
der ›Revue de Paris‹ veröffentlicht wird und daher mit allen Mitteln Ganderax, den Herausgeber der Zeitschrift, zu überzeugen versuchte, ihren Roman dem von Pirandello vorzuziehen. Ganderax, der Bigot bereits seine Zusage gegeben hatte, befand sich damit in einer Lage, von der er nicht wußte, wie er da herauskommen sollte.
Graf Primoli übernahm es zu vermitteln und erreichte es,
daß Luigis Roman zunächst in ›L'Écho de Paris‹ veröffentlicht und danach als Buch von dem Verleger Calmann-Lévy gedruckt wurde. Pirandello akzeptierte widerwillig. Mit Deutschland ging es wesentlich besser: von der am weitesten verbreiteten Zeitschrift Wiens gedruckt, wurde Pirandello ein Vorschuß von sechshundert Mark überwiesen, das war ein stattlicher Betrag.
Der Roman war Mattia Pascal.
ICH HIEß MATTIA PASCAL
In der Zeit zwischen der Veröffentlichung des Romans in der ›Nuova Antologia‹ und seiner Druckfassung als Buch erscheint im Lokalteil einer wichtigen Mailänder Tageszeitung die Nachricht vom »Hinscheiden« des Marchese von Chignolo, Luigi Cusani. Da dieser Edelmann eine relativ bekannte Persönlichkeit ist, veröffentlicht die Tageszeitung am folgenden Tag eine Unzahl von Nachrufen. Nur daß sich kaum zehn Tage später herausstellt, daß der Marchese durchaus lebendig ist und der vorgetäuschte Tod von ihm selbst in Szene gesetzt worden war, wahrscheinlich, um sich seinen Gläubigern zu entziehen.
In seiner Rezension des Romans in der ›Illustrazione Italiana‹ im November 1904 erinnert Graf Ottavio, Pseudonym von Ugo Ojetti, an das mißlungene Verschwinden des Marchese Cusani:
»Nun erscheint, kaum einen Monat später, ein Roman von Luigi Priandello, voll von Abenteuern, von sanfter Philosophie und von Humor, mit dem Titel Mattia Pascal. Es ist die Geschichte eines unseligen Gatten, der eines Tages, nachdem er voller Verzweiflung den Krallen seiner Schwiegermutter und seiner Frau entflohen war und sich beim Roulettespiel in Montecarlo unvorstellbar bereichert hat, auf dem Weg nach Hause in einer Zeitung die Nachricht von seinem Selbstmord liest, das heißt über den Selbstmord eines Menschen, den alle für ihn halten. Und
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