Untitled
erkennt, mit sich nimmt und Luigi verständigt. Der eilt herbei, um seine Tochter wieder an sich zu nehmen, doch kann er sie nicht nach Hause führen.
»Entweder sie oder ich«, sagt Antonietta gnadenlos.
Und Lietta fährt nach Florenz, wo sie Gast der Familie ihrer Tante Lina ist.
Luigi stimmt der Einlieferung Antoniettas in eine geschlossene Anstalt erst nach der Rückkehr der Söhne Stefano und Fausto aus dem Weltkrieg zu, im Jahr 1919. In die Klinik begleiten sie Stefano und Fausto, Antonietta folgt ihnen zufrieden, denn seit langem fleht sie darum, von Luigi getrennt leben zu können. Den will sie nie mehr wiedersehen. Luigi bleibt alleine.
Neun ganze Jahre hatte er nur für diese Frau gelebt, hatte sich sein Denken nur um sie gedreht, ausschließlich und quälend, damit sie niemals einen Grund haben sollte, sich zu beklagen oder über ihn auch nur im geringsten zu argwöhnen; mit ausdauernder, gewissenhafter, furcht voller Überwachung seiner selbst. Sozusagen mit geschlossenen Augen, mit verstopften Ohren hatte er neun Jahre lang gelebt. Gewissermaßen abseits der Welt, so als hätte die Welt gar nicht existiert. Er fühlte sich plötzlich so, als wäre er ins Leere gesprungen, vernichtet… in dieser leeren Wohnung, die doch gleichzeitig voll war, wie seine Seele, von den stechenden Verdächtigungen seiner Frau…
Luigi weist die Söhne an, ihre Mutter jeden Tag zu besuchen. Auch er selber würde sich liebend gern jeden Tag auf den Weg zu ihr machen, und das nicht nur aus einem Pflichtgefühl heraus, doch Antoniettas Verhalten hindert ihn daran: sie wird zur Furie, sobald sie ihn nur auftauchen sieht. Die letzten fürchterlichen Szenen gegenüber ihrem Mann hat sie während des Krieges gemacht, als sie erfährt, daß Stefano in Gefangenschaft geraten ist. Zu Luigis Angst über das Schicksal des Sohnes kommen die tätlichen Angriffe Antoniettas, die ihren Sohn, koste es, was es wolle, zurückhaben will. Aus der Novelle Berecche und der Krieg (Berecche e la guerra):
Die verzweifelte Mutter will nichts hören: sie schreit und schreit, bis es ihr schier die Kehle zerreißt, und dazu hebt sie die Arme empor und schüttelt die Hände… sie sieht nichts, sie hört nichts; und ab und zu wirft sie sich gegen die Tür des Studierzimmers; sie stößt sie auf, indem sie mit Faustschlägen und Stößen der Schultern und Knie dagegen trommelt, und stürzt sich auf den Gatten, pflanzt sich vor ihm auf mit gekrallten Fingern, als wolle sie ihn zerfleischen, und schreit ihm mit Ingrimm zu: »Ich will meinen Sohn wiederhaben, meinen Sohn!Mörder!Meinen Sohn will ich, meinen Sohn!«
Wie es logisch und vorhersehbar ist, werden die Besuche der Söhne immer seltener. Luigi beklagt sich darüber bei der fernen Lietta.
Da Deine Brüder die Mama, nicht besuchen gehen, wenn ich es ihnen nicht drei- bis viermal die Woche sage…
Als er erfährt, daß Antonietta sich gehen läßt, sich nicht mehr pflegt, immer dasselbe, inzwischen längst verschlissene Kleid anzieht, schickt er eine Schneiderin in die Klinik, die ihr ein neues schneidern soll. Doch Antonietta will sie nicht einmal sehen.
Antonietta Portolano wird am 20. Dezember 1959 in der psychiatrischen Klinik sterben.
WARUM?
Jeder Pirandello-Biograph oder Pirandello-Forscher hat sich die Frage gestellt: Warum hat Pirandello unter allen Umständen mit dem Wahnsinn seiner Frau leben wollen, auch dann noch, als ihm sowohl Verwandte als auch bedeutende Vertreter der Psychiatrie die Einweisung seiner Frau angeraten hatten? Erst 1919 willigte er schweren Herzens und auf Drängen seiner Söhne ein. Auf diese Frage wurden unterschiedliche Antworten gegeben.
Jean-Michel Gardair hat geschrieben:
»Pirandello hat mindestens bis zur Einweisung Antoniettas (im Jahr 1919) selbst die Wahl getroffen, sich Tag für Tag durch das paranoide Delirium seiner Frau entfremden zu lassen. Er hat sich immer geweigert, ihren Wahnsinn als Tatsache zu betrachten und der Krankheit die geringste Macht der Entscheidung über Vernunft und Unvernunft zuzugestehen. Und wie bei seinen eigenen Gegenüberstellungen, hat er dem ›Wahnsinn‹, einem gefälligen Paradox entsprechend, nicht das Privileg der Wahrheit zuerkennen wollen. Alles in allem hat er das Problem selbst des ›Wahnsinns‹ (von Antonietta) so lange wie möglich offen gelassen.«
Und etwas später:
»In seiner Beziehung zu Antonietta ist Pirandello ein
erseits Opfer des unendlich gewitzten Diskurses
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