Untitled
Kraft aus ihrem wechselvollen Leben voll schwerer Augenblicke ziehen konnte, in denen Dein Herz in Abgründe der Opferbereitschaft gestürzt ist und Dein Sinn sich zu höchsten Einsichten jenseits aller guten, aller bösen Aspekte dieser kümmerlichen irdischen Existenz aufgeschwungen hat, Du, Mama, befiehl für uns alle Deinem müden und gequälten Körper, noch einmal zu widerstehen: wir wollen uns doch noch einmal gemeinsam wiederfinden, wenn mein kleiner Stefano heimkommt, und unseren Sieg feiern, den Sieg Italiens.
Doch Donna Caterina ist nicht mehr in der Lage, ihrem Körper auch nur das geringste zu befehligen. Sie stirbt am 13. August. Luigis Brief wird ihr zwischen die Hände geschoben und mit in den Sarg gegeben. Donna Caterinas letzter Wille, das Haus in Caos dem Sohn Vincenzo zu überlassen, wird von den anderen voll und ganz respektiert.
Pirandello begreift in aller Klarheit, daß der Tod der Mutter eine unumkehrbare Wende in seinem Leben darstellt. Donna Caterina widmet er eine Arbeit, die etwas ebenso Bebendes wie Unkontinuierliches hat, in der die Vaterlandsrhetorik mit echter, tiefempfundener Bewegung abwechselt. Eine einmalige Arbeit, deren Verbreitung in den italienischen Tageszeitungen der Autor untersagen zu sollen glaubte. Diese Unterhaltung ist Teil einer Gruppe, die den Titel Gespräche mit den Personen trägt. Doch diese Gespräche finden nicht nur mit Personen statt, die seine Phantasie erschaffen hat, sondern auch mit solchen, die wirklich gelebt haben, wie eben seine Mutter. Warum also nennt er sie Personen? Vielleicht aus einem ersten Versuch der Objektivierung heraus? Vielleicht, weil sein Hauptwerk bereits dunkel Gestalt anzunehmen beginnt und er anfängt, die Veränderung durchlebter und durchlittener Erfahrungen in den Formen und Weisen der Theaterfiguren zu sehen? Wie auch immer, in jenen langen Tagen der unausweichlichen Erinnerungen wird Luigi mit Sicherheit den Weg an der Seite der Mutter noch einmal zurückgelegt haben, die auch bitteren Familienereignisse, und ein Moment dieser schmerzlichen Reflexion taucht in dem Gespräch auf, wenn Donna Caterina den Sohn auffordert, die Dinge auch mit den Augen derer zu betrachten, die sie nicht mehr sehen. W as mit einfachen Worten bedeutet, zwischen der Leidenschaft der Anteilnahme und der Kälte der Reflexion eine Entfernung einzuschieben, und in dieser wiedergewonnenen Distanz eine nicht von Nebensächlichkeiten berührte Sicht der Dinge zu gewinnen und anzuwenden.
Am 2. November desselben Jahres werden Pirandellos schlimmste Befürchtungen wahr. Stefano gerät in Gefangenschaft. Luigi schreibt darüber an Martoglio, der wiederum gerade seinen Bruder im Krieg verloren hat.
Du sollst wissen, daß er am Morgen des 2. November, um halb acht, nach einer Feuernacht, bei der Schlacht von Oslavien in Gefangenschaft geriet, an der Brust verwundet, zum Glück nur leicht. Eine andere Verwun dung hatte er tags zuvor abbekommen; man hatte ihn ein paar Tage freigestellt, in denen er sich ärztlich Vorsorgen lassen sollte; er verweigerte die Freistellung, weil er wußte, daß sich die Attacke in der Nacht wiederholen würde, und so geriet er in Gefangenschaft. Nun sind es bereits zwei Monate! Von allem Unheil, das ihn treffen k onnte (er ist ja nur durch ein Wunder am Leben!), ist dies sicher das geringste. Ich weiß von ihm selbst, daß die Wunden völlig verheilt sind, und daher bin ich den Umständen entsprechend beruhigter.
Beruhigter? Die Ausübung des Vaterseins kompliziert sich für Luigi mit neuen Sorgen. Der Sohn ist in Gefangenschaft. Was bedeutet das, ein Gefangener zu sein? Wie kann ein junger Mann wie Stefano auf die Regeln, auf die strengen Verpflichtungen eines Gefangenenlagers reagieren? Und wird er nicht psychische Wunden davontragen, die ihn vielleicht unauslöschlich zeichnen? Aus der Ferne will Luigi in bestimmter Weise die Gefangenschaft lenken.
Mut, mein lieber Stefano: ergib Dich nicht zu sehr dem Nachdenken und arbeite, arbeite soviel Du kannst: Es gibt kein besseres Heilmittel für diese Krankheit des Lebens. Niemand weiß das besser als ich, aus eigener Erfahrung.
Mithin erscheint sein Empfinden, ein Gefangener zu sein, eingepfercht in einen Namen, von dem er behauptet, daß er ihm nicht gehört, gleich mit der echten Gefangenensituation des Sohnes: unterschiedliche Aspekte dieses Übels des Lebens. Er versucht sogar eine völlige Identifizierung:
Gestern, am 2. November, dem Jahrestag Deiner
Weitere Kostenlose Bücher