Untitled
Gefan gennahme… bin ich um sechs Uhr aufgewacht und gleich in Gedanken an den Ort gelaufen, an dem Du Dich vor einem Jahr befunden hast, und ich habe versucht, mit meiner Vorstellungskraft die schrecklichen Stunden jenes Morgens zu durchleben. Du kannst Dir vorstellen, was ich gelitten habe!
NOCH EINMAL DER KRIEG
Der andere Sohn, Fausto, wird einberufen und nach Castelfranco di Sotto geschickt. Doch Faustos Gesundheit ist nicht die beste, er unterzieht sich den Mühsalen der militärischen Ausbildung, obwohl er noch Rekonvaleszent nach einer kurz vorher durchgeführten Operation ist. Die Zeiten sind hart, und Fausto wird ein Mindestmaß an Ruhe verweigert. Als Pirandello davon erfährt, eilt er in die Kaserne seines Sohnes, findet ihn aber nicht: er ist auf einen Marsch aufgebrochen. Dieser Marsch ist so kräfteverzehrend, daß Fausto sich bei seiner Rückkehr neben den Vater stellt und in seinen Armen ohnmächtig wird. Pirandello sieht rot, er beginnt zu wüten, er zwingt den General, dem Sohn eine Rekonvaleszentenzeit zu gewähren. In Florenz findet man schließlich heraus, daß Fausto tuberkulös ist, und das ist durchaus kein Vorwand, um ihn vom Militärdienst zu befreien. Er wird nach Hause entlassen. Nachdem die dramatische Episode mit Fausto abgeschlossen ist, kehrt die Besorgnis um Stefano um so mächtiger zurück. Für Stefano liefen die Dinge nicht gut. Von Mauthausen (ein Name, der heute grauenhafte Vorstellungen in uns wachruft, damals aber nur ein überfülltes Kriegsgefangenenlager bezeichnete) wurde er nach Böhmen verbracht, nach Plan, wo die Behandlung äußerst hart war. Alle litten Hunger, auch die Gefangenenaufseher, und daher kamen die Pakete, die Luigi schickte, oft nicht bei ihrem Empfänger an. In den durch und durch feuchten Baracken, die nicht vor dem Regen schützten, war das tägliche Leben äußerst beschwerlich und bewegte sich am Rand des Überlebens. Und Stefano erkrankt, wie Fausto, an den Lungen.
Der Vaterinstinkt in Luigi wird da gewissermaßen zu einer Obsession. In ihm wirkt mit Sicherheit ein unbewußter, jedoch aufgebrachter Vergleich mit dem Verhalten, das seiner Überzeugung nach Don Stefano ihm gegenüber an den Tag gelegt hatte: nein, auch nicht einen Augenblick lang darf Stefano glauben, von anderem Blut zu sein; er muß die drängende Gegenwart der Liebe spüren, die ihn auf der Stelle neben sich haben will, auch wenn das bedeutet, die Barrieren der Entfernung und der Gefangenschaft zu durchbrechen.
Also ersinnt er einen verwickelten Plan, um die Befreiung des kranken Sohnes durchzusetzen.
Über einen Freund, der Journalist ist, gelingt es ihm über
viele Umwege, einen Kontakt zu Kardinal Gasparri herzustellen. Das Problem bestand aber in Pirandellos hinreichend bekanntem Antiklerikalismus, was soweit ging, daß Gruppen junger Katholiken dafür gesorgt haben, daß das Schauspiel Denk' dran, Giacomino! (Pensaci, Giacomo!) vom Spielplan des Alfieri-Theaters in Turin genommen wurde. Zwischen dem Vatikan und Pirandello bestanden also durchaus keine guten Beziehungen. Gasparri erwies sich aber als guter Diplomat, er zog es vor, über den Bühnenautor und Prosaschriftsteller Pirandello hinwegzusehen, um sich - christlich - um einen Vater zu kümmern, der Sorge um das Schicksal seines Sohnes hat.
Gasparri überredete Papst Benedikt XV, einen persönlichen Brief an die österreichische Regierung zu richten (und zwar über die kirchlichen Stellen), in welchem er um die Freilassung Stefano Pirandellos bat, für den im Gegenzug ein österreichischer Gefangener freigelassen werden würde, und dieser Austausch sollte in der Schweiz stattfinden. Die Österreicher brauchten viel Zeit für ihre Antwort. Als sie eintraf, rief Gasparri Pirandello zu sich. Die Österreicher hatten den Preis erhöht: im Austausch für Stefano wollten sie die Freilassung von drei österreichischen Gefangenen, deren Namen sie beifügten. Und diese Forderung rechtfertigten sie »mit der Tatsache, daß Stefano der Sohn eines berühmten Schriftstellers ist«. Sozusagen paradoxerweise wurde die von Luigi so obsessiv hoch gehaltene Vaterrolle jetzt einerseits zu einer Art erschwerendem Umstand, andererseits aber bestimmte es auf unanzweifelbare Weise das Gewicht und die Folgen eines hingenommenen Namens gegenüber demselben Namen, den Luigi am liebsten verleugnet hätte. In der einen oder anderen Form stellte sich der Schatten Stefanos, des »abgeschafften« Vaters, als welchen Giudice ihn
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