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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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Munde nicht den Namen jenes Mannes erfahren, der mit meiner Erinnerung an jene Zeit so unlöslich verknüpft ist. Außerdem flößte mir der Bursche Respekt ein. Ja, ich hatte Respekt vor seinem Kragen, seinen riesigen Manschetten, seinem geschniegelten Haar. Natürlich wirkte er wie eine Friseurpuppe; doch bei der allgemeinen Verwahrlosung hielt er auf tadellosen Anzug.
      Das nenne ich Rückgrat. Seine blütenweiße Hemdbrust und seine gestärkten Kragen waren eine Charakterleistung. Er war schon fast drei Jahre draußen; und bei späterer Gelegenheit konnte ich mich nicht enthalten, ihn zu fragen, wie er es fertigbrachte, solche Wäsche zu tragen. Er errötete kaum merklich und sagte bescheiden: ›Ich habe eine der Eingeborenenfrauen aus der Niederlassung unterwiesen. Es war schwierig. Ihr war die Arbeit zuwider.‹ So hatte dieser Mann wahrhaftig etwas geleistet. Er hing leidenschaftlich an seinen Büchern, die sich in der
    allerschönsten Ordnung befanden.
      Alles sonst in der Niederlassung war in Unordnung – der Stab, die Gerätschaften, die Gebäude. Züge staubbedeckter plattfüßiger Neger trafen ein und brachen wieder auf; ein Strom von Fabrikwaren, Baumwollzeug, Glasperlen und Messingdraht ergoß sich in die Tiefen der Finsternis, und dafür sickerte von dort ein kostbares Elfenbeinrinnsal zurück.
      Ich mußte zehn Tage in der Niederlassung warten – eine Ewigkeit. Ich wohnte in einer Hütte des Anwesens, doch um dem Chaos zu entgehen, flüchtete ich mich zuweilen in das Büro des Buchhalters. Es war aus waagerechten Brettern gezimmert, die so schlecht verfugt waren, daß er, wenn er sich über sein Pult beugte, von Kopf bis Fuß mit einem Muster schmaler Sonnenstreifen bedeckt war. Man mußte die Läden nicht erst öffnen, um etwas zu sehen. Obendrein war es heiß dort.
      Große Fliegen surrten mit teuflischer Bosheit durch den Raum; und sie stachen nicht etwa bloß, sondern versetzten einem förmlich Dolchstöße. Ich saß gewöhnlich auf dem Boden, während er, von makellosem Äußerem (und sogar leicht parfümiert), auf einem hohen Schemel hockte und schrieb und schrieb. Manchmal stand er auf, um sich Bewegung zu machen.
      Als ein flaches Rollbett mit einem Kranken (einem hinfälligen Handelsvertreter aus dem Inneren) hereingeschoben wurde, bekundete er leisen Verdruß. ›Das Gestöhn dieses Kranken‹, sagte er, ›beeinträchtigt meine Aufmerksamkeit. Und in diesem Klima muß man sich vor Buchungsfehlern besonders hüten.‹ Eines Tages bemerkte er, ohne den Kopf zu heben: ›Im Innern werden Sie zweifellos Herrn Kurtz begegnen.‹ Auf meine Frage, wer denn Herr Kurtz sei, antwortete er mir, er sei ein erstklassiger Agent; und da er meine Enttäuschung bei dieser Mitteilung gewahrte, fügte er langsam hinzu, indem er seinen Federhalter hinlegte: ›Er ist eine sehr bemerkenswerte Persönlichkeit.‹ Durch weitere Fragen entlockte ich ihm, daß Herr Kurtz gegenwärtig eine Handelsstation leite, eine sehr wichtige, im eigentlichen Elfenbeinland, ›geradezu in dessen Herzen. Er schickte uns mehr Elfenbein als alle die andern zusammen …‹ Er begann wieder zu schreiben. Der Kranke war zu elend, um zu stöhnen. Die Fliegen summten in großem Frieden um uns her.
      Plötzlich vernahm man ein wachsendes Stimmengewirr und ein lautes Getrampel von Füßen. Eine Karawane war eingetroffen. Auf der anderen Seite der Bretterwand brach ein wildes Geplapper seltsamer Stimmen los. Alle Träger redeten durcheinander, und inmitten dieses Aufruhrs war die weinerliche Stimme des Generalagenten zu hören, der schon zum zwanzigsten Mal an diesem Tag ›nicht mehr aus noch ein wußte‹ … Der Buchhalter stand langsam auf. ›Was für ein entsetzlicher Lärm‹, sagte er. Er durchquerte sacht den Raum, um nach dem kranken Mann zu sehen, und sagte, als er zurückkam: ›Er hört es nicht.‹
      ›Was! tot?‹ fragte ich betroffen.
      ›Nein, noch nicht‹, antwortete er sehr gelassen. Dann wies er mit einer Kopfbewegung auf den Tumult im Hof der Handelsniederlassung und meinte: ›Wenn man korrekte Eintragungen zu machen hat, bleibt es nicht aus, daß man langsam einen Haß gegen diese Wilden empfindet – einen tödlichen Haß.‹ Einen Augenblick lang verharrte er sinnend. ›Wenn Sie Herrn Kurtz begegnen‹, fuhr er fort, ›dann richten Sie ihm doch von mir aus, hier‹ – er blickte auf den Tisch – ›stehe alles zum besten. Ich schreibe ihm nicht gern in die Zentralstation – bei

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