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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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den Boten, die wir haben, weiß man nie, wem der Brief in die Hände fällt.‹ Er starrte mich eine Weile mit seinen sanften, vorquellenden Augen an. ›Oh, er wird es weit bringen, sehr weit‹, begann er abermals. ›Nicht lange und er hat seinen Posten in der Verwaltung. Die da oben – der Verwaltungsrat in Europa, wissen Sie – wollen ihn dort haben.‹ Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Draußen hatte der Lärm aufgehört, und als ich bald darauf hinausging, blieb ich an der Tür stehen. Im stetigen Gesumm der Fliegen lag der heimkehrende Agent gerötet und bewußtlos da; der andere saß über seine Bücher gebeugt und machte korrekte Eintragungen über absolut korrekte Tauschgeschäfte; und fünfzig Fuß unterhalb der Türschwelle konnte ich die stillen Baumspitzen des Todeshaines sehen.
      Am nächsten Tag verließ ich endlich diese Station und brach mit einer sechzig Mann starken Karawane zu einer zweihundert Meilen langen Wanderung auf.
      Es hat keinen Sinn, euch viel davon zu berichten. Fußpfade, Fußpfade – überall; ein eingetrampeltes Netzwerk von Fußpfaden, das sich über das leere Land breitete, durch hohes Gras, durch verbranntes Gras, durch Dickicht, durch kühle Schluchten, über steinige, flammendheiße Berge; und eine Einsamkeit, eine Einsamkeit; keine Menschenseele, nicht eine einzige Hütte weit und breit. Die Bevölkerung war lange zuvor abgewandert.
      Nun, wenn einem Haufen geheimnisvoller Neger, ausgerüstet mit allerlei schrecklichen Waffen, plötzlich in den Sinn käme, über die Straße zwischen Deal und Gravesend zu ziehen und dabei links und rechts die Bauernlümmel einzufangen, damit sie ihnen die schweren Lasten trügen, würden sich, wie ich mir lebhaft vorstellen kann, sehr bald sämtliche Gehöfte und Bauernhäuser in dieser Gegend leeren. Nur waren hier auch die Wohnstätten verschwunden. Immerhin kam ich durch mehrere verlassene Dörfer. Es liegt etwas ergreifend Kindliches über den Ruinen von Grasmauern. Tagein, tagaus das Stampfen und Schlurfen von sechzig Paar nackter Füße hinter mir – jedes Paar unter einer Last von sechzig Pfund. Kampieren, abkochen, schlafen, das Zelt abschlagen, marschieren. Dann und wann im hohen Gras neben dem Pfad ein Träger, tot unter seinem Joch, den leeren Wasserkürbis und den langen Stab neben sich.
      Eine große Stille rings um uns und über uns. Vielleicht in einer ruhigen Nacht das Dröhnen ferner Trommeln, verhallend, anschwellend; ein Beben – gewaltig und dann wieder schwach; ein unheimlicher, flehender, vielsagender, ein wilder Klang – und vielleicht ebenso tief bedeutsam wie das Läuten der Glocken in einem christlichen Land. Einmal dann ein Weißer in aufgeknöpftem Uniformrock, der mit seiner bewaffneten Eskorte von Zanzibaris auf dem Pfad kampierte – sehr gesellig und fröhlich, um nicht zu sagen bezecht. Er inspiziere gerade die Ausbesserungsarbeiten an der Straße, erklärte er. Ich konnte nicht behaupten, irgendwo eine Straße oder Ausbesserungsarbeiten zu sehen, es sei denn, der Leichnam eines Negers mittleren Alters, mit einem Kugeleinschuß in der Stirn, über den ich drei Meilen weiter buchstäblich stolperte, durfte als bleibende Verbesserung betrachtet werden. Ich hatte noch einen weißen Gefährten – kein übler Bursche, doch eigentlich zu beleibt und mit der aufreizenden Angewohnheit behaftet, auf heißen Bergabhängen in Ohnmacht zu fallen, Meilen entfernt von jeglichem Schatten oder Wasser. Wirklich lästig, wißt ihr, die eigene Jacke als Sonnenschirm über den Kopf eines Mannes halten zu müssen, während dieser wieder zu sich kommt. Einmal konnte ich mich nicht enthalten, ihn zu fragen, in welcher Absicht er überhaupt hier herausgekommen sei. ›Um Geld zu verdienen, natürlich. Was denken Sie?‹ sagte er verächtlich.
      Dann packte ihn das Fieber, und er mußte in einer um eine Stange geschlungenen Hängematte weitergetragen werden. Da er über zwei Zentner wog, hatte ich ewig Scherereien mit den Trägern. Sie waren störrisch, liefen fort, stahlen sich des Nachts mit ihren Lasten davon – eine regelrechte Meuterei. So hielt ich eines Abends eine Ansprache in Englisch, begleitet von Gesten, deren Sinn den sechzig Augenpaaren vor mir nicht entging, und am nächsten Morgen gelang es mir denn auch, die Hängematte voraustragen zu lassen. Eine Stunde später fand ich den ganzen Kram gestrandet im Gebüsch liegen – Mann, Hängematte, Wolldecke, Gejammer und Entsetzen. Die schwere

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