Untitled
Klugheit. Er war zu dieser Stellung gelangt – warum eigentlich? Vielleicht weil er nie krank wurde … Dreimal hatte er dort draußen eine Zeitspanne von je drei Jahren abgedient … Weil eine sieghafte Gesundheit bei dem vorherrschenden Verfall der Körperkräfte an sich schon eine Macht darstellt. Wenn er auf Heimaturlaub ging, tobte er sich in großem Stile aus – bombastisch. Jan Maat an Land – nur in Äußerlichkeiten davon unterschieden. Soviel konnte man seinen beiläufigen Bemerkungen entnehmen. Er gab zu nichts den Anstoß, er vermochte das Gewohnte in Gang zu halten – das war alles. Doch er war groß. Er war groß dank diesem kleinen Umstand, daß es unmöglich war zu sagen, was ihn wohl leiten mochte. Er gab dieses Geheimnis nie preis.
Vielleicht steckte gar nichts in ihm. Solch ein Verdacht konnte einen stutzig machen – denn dort unten gab es ja keine äußerlichen Hemmungen. Einmal, als verschiedene Tropenkrankheiten nahezu alle ›Agenten‹ in der Station niedergestreckt hatten, hörte man ihn sagen: ›Männer, die hier herauskommen, sollten keine Eingeweide haben.‹ Er besiegelte diese Äußerung mit jenem eigentümlichen Lächeln, gleichsam als sei dies eine Tür, die sich in ein Dunkel öffnete, das ihm allein zugänglich war.
Man bildete sich ein, Dinge gesehen zu haben – doch waren es Dinge mit sieben Siegeln. Da ihn bei den Mahlzeiten das fortgesetzte Gezänk der Weißen über die Rangordnung ärgerte, ließ er einen riesigen runden Tisch schreinern, für den ein besonderes Haus gebaut werden mußte. Dies war die Messe der Handelsniederlassung. Wo er saß, war der erste Platz – die übrigen waren nirgendwo. Man hatte das Gefühl, dies sei seine unwandelbare Überzeugung. Er war weder höflich noch unhöflich. Er war ruhig. Er duldete, daß sein ›Boy‹ – ein überfütterter junger Neger von der Küste – die anderen Weißen vor seinen Augen mit aufreizender Unverschämtheit behandelte.
Sobald er meiner ansichtig wurde, begann er zu reden. Ich sei sehr lange unterwegs gewesen. Er habe nicht warten können.
Habe ohne mich aufbrechen müssen. Die Handelsstationen am Oberlauf seien zu entlasten gewesen. Es hätte schon so viele Verzögerungen gegeben, daß er gar nicht mehr wisse, wer tot und wer noch am Leben sei und wie sie zu Rande kämen – und so weiter und so weiter. Er schenkte meinen Erklärungen keinerlei Beachtung und wiederholte, während er mit einer Stange Siegellack spielte, zu verschiedenen Malen, die Lage sei ›sehr ernst, sehr ernst‹. Einem Gerücht zufolge sei eine sehr wichtige Station in Gefahr, und ihr Leiter, Herr Kurtz, sei krank.
Er hoffe nur, es bewahrheite sich nicht. Herr Kurtz sei … Ich war müde und gereizt. Zum Henker mit Kurtz, dachte ich. Ich fiel ihm mit der Bemerkung ins Wort, ich hätte schon an der Küste von Herrn Kurtz gehört. ›Ah! Dort unten redet man also schon von ihm‹, murmelte er vor sich hin. Dann fing er wieder an und versicherte mir, Herr Kurtz sei der beste Vertreter, den er habe, ein ungewöhnlicher Mann und von der größten Bedeutung für die Gesellschaft; darum würde ich seine Sorge wohl verstehen. Er sei, sagte er, ›sehr, sehr in Unruhe‹. Er rutschte in der Tat mächtig auf seinem Stuhl hin und her und rief: ›Ah, Herr Kurtz!‹ zerbrach die Siegellackstange und schien zutiefst betroffen von diesem Mißgeschick. Als nächstes wollte er wissen, ›wieviel Zeit nötig sei, um‹ … Ich fiel ihm abermals ins Wort. Ich war hungrig, mußte obendrein stehen, und da begann ich unhöflich zu werden. ›Woher soll ich das wissen?‹ sagte ich. ›Ich habe das Wrack noch nicht einmal gesehen – einige Monate, zweifellos.‹ All dieses Gerede schien mir so unnütz. ›Einige Monate‹, sagte er. ›Nun, sagen wir, drei Monate, ehe wir aufbrechen können. Ja. Das sollte für die Angelegenheit genügen.‹ Ich stürmte aus seiner Hütte (er wohnte allein in einer Lehmhütte mit einer Art Veranda) und murmelte vor mich hin, was ich von ihm hielt. Er war ein schwatzhafter Idiot. Später nahm ich das zurück, als mir zu meiner Verwunderung bewußt wurde, wie überaus genau er die Zeit abgeschätzt hatte, die für ›die Angelegenheit‹ nötig war.
Ich machte mich am nächsten Tag an die Arbeit und kehrte sozusagen jener Station den Rücken. Auf diese Weise allein, so schien es mir, vermochte ich in Berührung mit den erlösenden Tatsachen des Lebens zu bleiben. Dennoch muß man sich gelegentlich
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