Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
Vom Netzwerk:
abermals fortgelaufen war; daß er eine Zeitlang auf englischen Schiffen gefahren, jetzt mit dem Erzpriester ausgesöhnt war. Das betonte er besonders. ›Doch wenn man jung ist, muß man etwas sehen, Erfahrungen sammeln, Ideen, seinen geistigen Horizont erweitern.‹
      ›Ausgerechnet hier!‹ unterbrach ich ihn. ›Man kann nie wissen! Hier begegnete ich Herrn Kurtz‹, sagte er jugendlich feierlich und vorwurfsvoll. Ich hielt daraufhin meinen Mund. Es stellte sich heraus, daß er ein holländisches Handelshaus an der Küste überredet hatte, ihn mit Vorräten und Handelsgütern zu versehen, und daß er leichten Herzens und unbekümmert wie ein Säugling um das, was ihm bevorstand, ins Innere aufgebrochen war. Er war an diesem Fluß beinahe zwei Jahre lang hingewandert, abgeschnitten von allem und jedem. ›Ich bin nicht mehr so jung, wie ich aussehe. Ich bin fünfundzwanzig‹, sagte er. ›Anfangs erklärte mir der alte Van Shuyten, ich solle mich zum Teufel scheren‹, berichtete er mit ausgesprochenem Behagen; ›doch ich ließ nicht locker und redete und redete, bis er schließlich Angst bekam, ich würde seinem Lieblingshund noch ein Hinterbein fortquasseln. Also gab er mir einige billige Sachen und ein paar Gewehre und erklärte mir, ich solle mich bloß nicht wieder blicken lassen. Guter alter Holländer, dieser Van Shuyten. Ich habe ihm vor Jahresfrist einen Stoß Elfenbein geschickt, damit er nicht von mir sagen soll, ich sei ein kleiner Dieb, wenn ich zurückkomme. Ich hoffe, er hat es erhalten. Alles andere ist mir gleichgültig. Ich hatte einiges Holz für Sie aufgestapelt. Das war mein altes Haus. Haben Sie es
    gesehen?‹
      Ich gab ihm Towsons Buch. Er stellte sich an, als wolle er mir einen Kuß geben, beherrschte sich aber. ›Das einzige Buch, das zurückblieb; und ich fürchtete schon, ich hätte es verloren‹, sagte er und betrachtete es verzückt. ›Wissen Sie, einem Mann, der allein umherwandert, stößt vielerlei zu. Manchmal schlagen die Kanus um – und manchmal muß man sich schnell aus dem Staub machen, wenn die Leute zornig werden.‹ Er durchblätterte das Buch. ›Machten Sie die Notizen in Russisch?‹ fragte ich. Er nickte, ›Ich dachte, sie seien in Geheimschrift‹, sagte ich.
      Er lachte, dann wurde er ernst, ›Ich hatte große Mühe, diese Leute fernzuhalten‹, sagte er. ›Wollten die Kerle Sie umbringen?‹ fragte ich. ›Oh, nein!‹ rief er und hielt inne. ›Warum haben sie uns denn angegriffen?‹ fuhr ich fort. Er zögerte, dann sagte er kleinlaut: ›Sie möchten nicht, daß er geht.‹
      ›Nein?‹ fragte ich neugierig. Er nickte, und sein Nicken war geheimnisvoll und weise, ›Ich sage Ihnen‹, rief er, ›dieser Mann hat den Horizont meines Geistes erweitert.‹ Er breitete die Arme aus und blickte mich mit seinen kleinen blauen Augen an, die vollkommen rund waren.

    III

    Ich sah ihn starr vor Staunen an. Da stand er vor mir in buntscheckigem Anzug, als wäre er einer Gauklertruppe davongelaufen – begeistert, fabelhaft. Sein Dasein allein schon war unwahrscheinlich, unerklärlich und gänzlich verwirrend.
      Er war ein unlösbares Rätsel. Man vermochte sich nicht vorzustellen, wie er sein Leben gefristet hatte, wie es ihm gelungen war, so weit zu kommen, wie er sich hatte halten können – warum er nicht auf der Stelle vom Erdboden verschwunden war. ›Ich ging ein bißchen weiter‹, sagte er, ›dann noch ein bißchen – bis ich so weit vorgedrungen war, daß ich nicht mehr wußte, wie ich je wieder zurückkommen sollte.
      Gleichviel. Habe ja Zeit in Hülle und Fülle. Schaffe es schon noch. Sie müssen schnell Kurtz fortbringen – schnell –, rate ich Ihnen.‹ Der Zauberglanz der Jugend umstrahlte seine bunten Fetzen, seine Armut, seine Einsamkeit, die innerste Trostlosigkeit seiner Wanderungen. Monatelang – jahrelang – war sein Leben keinen Deut wert gewesen: und da stand er, tapfer, sorglos lebendig, allem Anschein nach unzerstörbar dank seinen jungen Jahren und seiner bedachtlosen Verwegenheit. Ein Gefühl der Bewunderung drängte sich mir auf – etwas wie Neid. Der Zauber trieb ihn vorwärts, der Zauber ließ ihn unversehrt. Sicherlich begehrte er von der Wildnis nichts als Raum, um zu atmen und weiter vorzudringen. Er hatte das Bedürfnis, zu leben und unter den größtmöglichen Gefahren, den höchsten Entbehrungen vorwärtszukommen. Wenn der vollkommen reine, unberechnende, unpraktische Geist des Abenteuers je ein

Weitere Kostenlose Bücher