Untitled
beredt, geradezu zitternd vor Beredtheit, doch etwas überspannt, wie mir schien. Für siebzehn engbeschriebene Seiten hatte er Zeit gefunden! Doch das muß geschehen sein, ehe seine – sagen wir einmal – Nerven versagten und ihn veranlaßten, bei gewissen mitternächtlichen Tänzen zu präsidieren, welche – soviel ich widerstrebend dem mir bei verschiedenen Gelegenheiten Mitgeteilten entnehme – in unaussprechlichen, ihm huldigenden Riten gipfelten – versteht ihr? – ihm, Herrn Kurtz, persönlich.
Doch es war ein prachtvolles Schriftstück. Der erste Absatz allerdings mutet im Licht späterer Mitteilungen recht unheilvoll an. Er begann mit der These, wir Weißen müßten auf dem Entwicklungspunkt, auf dem wir stünden ›ihnen [den Wilden] notwendigerweise wie übernatürliche Wesen vorkommen – wir träten ihnen in der Machtvollkommenheit einer Gottheit gegenüber‹, und so weiter und so weiter. ›Durch schlichte Willensäußerung könnten wir eine schier unbegrenzte Macht zum Guten ausüben‹, etc., etc. Von hier aus stieg der Flug seiner Gedanken himmelan und riß mich mit sich fort. Der zusammenfassende Schluß seiner Rede war grandios, wenn auch schwer im Gedächtnis zu behalten, wißt ihr. Er vermittelte mir die Vorstellung einer fremdartigen Unermeßlichkeit, die von erhabener Güte beherrscht wird. Es ließ mich vor Begeisterung erzittern. Dies war die unbegrenzte Macht der Beredsamkeit – der Worte – glühender, edler Worte. Da gab es keine praktischen Hinweise, die den Zauberfluß der Rede unterbrochen hätten, wenn nicht eine Art Fußnote auf der letzten Seite, die offensichtlich viel später und mit unsicherer Hand hingekritzelt worden war, als eine methodische Anleitung betrachtet werden kann. Sie war sehr einfach, und am Ende dieses bewegenden Appells an alle uneigennützigen Gefühle flammte sie einem entgegen, strahlend und erschreckend – wie ein Blitz aus heiterem Himmel: ›Rottet all diese Bestien aus!‹ Das Seltsame ist, daß er dieses kostbare Postskript anscheinend vergessen hatte, denn später, als er in gewissem Sinne wieder zu sich kam, bat er mich zu wiederholten Malen flehentlich, gut auf ›meine Flugschrift‹ (so nannte er den Bericht) aufzupassen, da sie gewiß einen günstigen Einfluß auf seine zukünftige Karriere haben würde. Ich war über all diese Dinge wohl unterrichtet, und überdies sollte ich, wie sich herausstellte, seines Gedächtnisses Hüter werden. Ich habe genug dafür getan, um mir das unbestreitbare Recht herausnehmen zu dürfen, es, wann immer es mir gefällt, zu ewiger Ruhe in den Mülleimer des Fortschritts zu werfen, zu all dem Kehricht und – bildlich gesprochen – all den toten Katzen der Zivilisation. Doch andererseits, seht ihr, steht es mir auch wieder nicht frei. Er wird nicht vergessen werden. Was er auch gewesen sein mag – gewöhnlich war er nicht. Er hatte die Macht, unentwickelte Seelen soweit zu bezaubern oder zu erschrecken, daß sie ihm zu Ehren einen abgeschmackten Hexentanz aufführten; er vermochte auch die kleinen Seelen der Pilger mit bitterer Mißgunst zu erfüllen, und er hatte eine Seele in der Welt erobert, die weder unentwickelt noch durch Selbstsucht vergiftet war. Nein, ich kann ihn nicht vergessen, obwohl ich nicht zu beweisen vermöchte, ob der Bursche wirklich das Menschenleben wert war, das wir auf dem Weg zu ihm verloren. Ich vermißte meinen verstorbenen Rudersmann fürchterlich – ich vermißte ihn sogar schon, als sein Leichnam noch im Ruderhaus lag. Vielleicht kommt euch diese Trauer um einen Wilden, der nicht mehr ins Gewicht fiel als ein Sandkorn in einer schwarzen Sahara, sonderbar vor. Nun, seht ihr denn nicht, daß er etwas getan, daß er gesteuert hatte; monatelang hatte ich ihn im Rücken gehabt – eine Stütze – ein Werkzeug. Es war eine Art Partnerschaft.
Er steuerte für mich – ich mußte auf ihn aufpassen, mich mit seinen Unzulänglichkeiten abplagen, und auf diese Weise war ein geheimes Band geknüpft worden, dessen ich erst innewurde, als es plötzlich zerriß. Und die abgründige Intimität jenes Blickes, den er mir zuwarf, als ihm die Wunde beigebracht wurde, ist mir bis auf den heutigen Tag im Gedächtnis geblieben – wie der Anspruch einer fernen Verwandtschaft, die sich in einem höchsten Augenblick befestigt hatte.
Armer Tor! Wenn er nur den Fensterladen in Ruhe gelassen hätte! Er war unbeherrscht – genau wie Kurtz –, ein schwankes Rohr im Wind. Sobald ich in
Weitere Kostenlose Bücher