Untitled
dahingestellt. Mutlos geworden, ergriff er das vor ihm stehende Glas mit den vielgepriesenen Rumfrüchten. Wohlig rann ihm der Rum durch die trockene Kehle. Angenehme Wärme durchströmte den geistlichen Körper. Derart gestärkt war er in der Lage, der bevorstehenden Mutprobe gelassen entgegenzusehen.
Es war sehr warm an jenem Sonntagnachmittag, als unsere beiden Freunde gemeinsam den Hügel erklommen. Jedesmal, wenn der Priester zu der alten Dame hinüberschaute, mußte er unwillkürlich die Nase rümpfen. Welch penetranter Geruch zog ihm da entgegen! Irgendwie kam dieser ihm schon bekannt vor, jedoch wußte er ihn momentan nicht einzuordnen. Er getraute sich auch nicht zu fragen, schließlich lag es ihm fern, seine charmante Nachbarin zu beleidigen. Madame allerdings registrierte sein langes Gesicht mit Vergnügen. „Sie sind sonst immer nur Düfte wie Vanille und Rum bei mir gewohnt, nicht wahr, Hochwürden?"
„Ganz recht, meine Liebe! Ich bin froh, daß Sie dieses Thema anschneiden. Was hat es mit dieser ... äh ... Duftkomposition für eine Bewandtnis?" Dem Priester war die Situation sichtlich peinlich, und er wand sich in geschraubter Redeweise. Madame Vanille ließ sich jedoch nicht beirren. „Sagen Sie ruhig Gestank, Hochwürden! Es handelt sich hier um Knoblauch. Ich habe gelesen, daß Vampire diesen Geruch noch weniger ertragen können als die meisten Menschen. Da ich kein zweites Mal riskieren wollte, daß meinem Seligen die Blumen vom Grab gestohlen werden, habe ich die Stiele gründlichst damit eingerieben."
Madame lächelte verschmitzt, und Hochwürden lobte diese brillante Idee.
„Das Gesicht des Edlen würde ich nur zu gerne sehen, wenn er nach diesen Blumen greift", schmunzelte der Geistliche.
„Soll er sie doch reihum jedesmal von einem anderen Grab nehmen. Das fiele weniger auf. Vielleicht habe ich sogar einmal die Gelegenheit, ihm diesen Vorschlag persönlich zu unterbreiten."
Kurz darauf waren sie auf dem Friedhof angelangt. Eine junge Witwe war gerade dabei, das Grab des viel zu früh verstorbenen Gatten zu pflegen. Bildschön war sie anzuschauen. Das lange rotblonde Haar ließ sich kaum unter der schwarzen Kappe, die sie zum Zeichen der Trauer trug, bändigen. Die Schlichtheit des schwarzen Kleides betonte ihre mädchenhaft schlanke Gestalt. Über ihre Wangen liefen dicke Tränen, als sie sich zum Grab hinabbeugte.
„Ist es nicht furchtbar, Hochwürden! Eine so hübsche junge Frau und schon verwitwet. Ich fühlte mich zwar seinerzeit, als mein Gottseliger verstarb, auch fast untröstlich, wie Sie sich sicher erinnern können, Herr Pfarrer. Aber wir waren doch schon um so vieles älter, als er mich verließ, und unser Leben hatten wir bereits gelebt!" Madame zerfloß vor Mitleid, und Hochwürden mußte sie energisch an ihr gemeinsames Vorhaben erinnern, so versunken war sie in den Anblick der jungen Frau.
Madame machte sich sogleich wieder über das ständig wuchernde Unkraut auf dem Grab ihres Gatten her. Zu diesem Zweck trug sie eine kleine Harke bei sich. Diese legte sie jedoch vorerst neben sich auf die Erde, außerhalb der gepflegten Grabumrandung.
Während sie sehr bedächtig das kleinere Unkraut mit der Hand auszupfte, überlegte sie angestrengt.
„Hochwürden darf keine Zeit finden, sich den Plan nochmals zu überlegen. Schließlich ist auch er nur ein Mensch, wenn auch ein geistlicher!"
Unterdessen schlich gerade dieser geistliche Mensch mehrmals um das große Grabmal. Er hoffte, eine geeignete Stelle zu finden, an der er sich einen seiner ach so gesunden Knöchel verstauchen konnte.
Madame Vanille hatte die Verschönerungsarbeiten am Grab bereits beendet und ging ebenfalls hinüber zum Grabmal. Beide Arme energisch in die Seiten gestemmt, schaute sie zum Priester auf und erinnerte ihn an seine Pflichten.
„Wenn das alles nur gut geht", murmelte Hochwürden zaghaft.
„Das soll es ja gerade nicht, Herr Pfarrer", empörte sich Madame und half dem immer noch zögernden Geistlichen auf das große Grab. Oben angekommen breitete er seine Arme aus ... und sprang auf den etwa einen Meter tiefer liegenden Boden.
„Das ging daneben", kommentierte Madame trocken und
schob den sich sträubenden Priester erneut in Richtung Grabmal. Das Ganze begann noch einmal von vorn. Diesmal nahm Hochwürden allerdings einen längeren Anlauf. Er tänzelte über die Marmorplatte, hielt am Rand einen Augenblick inne, griff nach
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