Untitled
mehrfach betonte – zu sprechen wünschte. Ich bat meine Schwester, den späten Patienten in meine Ordination zu führen, vertauschte unterdessen meinen bequemen Schlafrock gegen den Arztkittel und ging müde hinüber in die Praxisräume.
Als ich mein Sprechzimmer betrat, erhob sich der elegante Herr und entschuldigte sich in aller Form für die späte Störung.
Ich war erstaunt, ja geradezu erschreckt über die extreme Blässe, die die Haut dieses Mannes aufwies. So blaß sind im allgemeinen nur Leute, die gerade eine schwere Blutarmut durchmachen. Wie recht sollte ich mit meiner Beobachtung haben! Ich ließ ihn seine Beschwerden schildern und machte mir zu diesem Zweck Notizen, die ich dann später in die Patientenkartei übertragen wollte.
Nun denn. Er hätte, so gab der Patient Auskunft, seit dem Nachmittag eine lästige Allergie, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließe. Ich bat ihn daher, sich für eine Untersuchung freizumachen.
Erst jetzt registrierte ich, daß er während der ganzen Zeit seine Handschuhe anbehalten hatte. Als er diese auszog, danach das Jackett und das Oberhemd, erkannte ich zu meinem Entsetzen, daß beide Arme und Hände übersät waren mit dicken Quaddeln. Auch seine Beine waren stark in Mitleidenschaft gezogen.
Meine Frage, ob er etwas Unübliches gegessen oder getrunken habe, vielleicht ein neues Kleidungsstück trage, verneinte er. Eine Erklärung aber wollte er von sich aus nicht abgeben, das spürte ich deutlich. Er verlangte lediglich nach einem Mittel, das diesen entsetzlichen Juckreiz stoppen sollte. Meine Erwiderung, daß ich ihm nicht einfach ein Medikament verschreiben könne, ohne die Ursache seiner Erkrankung zu kennen, nahm er mit hängenden Schultern entgegen. Er tat mir leid. Das Geheimnisvolle, das seine Person umgab, erweckte meine Neugier, und ich wollte wissen, wer er war. Als ich ihn nach seinen Personalien und der Kassenzugehörigkeit befragte, wurde er sichtlich unruhig. Um seine Mundwinkel lief ein leichtes Zittern.
Erst mehrfache Versicherungen meinerseits, daß ich als Arzt an die Schweigepflicht gebunden sei, vielleicht aber auch die Verzweiflung über das nicht enden wollende Jucken seines Ausschlages ließen ihn endlich sein Schweigen brechen, und er gab sich als Edler von Grauenstein zu erkennen, geboren vor 232 Jahren, verstorben vor nunmehr 200 Jahren, wohnhaft in der Gruft derer von Grauenstein, zur Zeit ausgeübte Tätigkeit: Vampir.
Sie können sich sicherlich vorstellen, daß ich wie vom Donner gerührt war. Ich wußte zwar von Anfang an, daß etwas an diesem Mann sehr ungewöhnlich war, aber daß ich von nun an auch einen Vampir zu meinem Patientenkreis zählen sollte, war doch ungeheuerlich.
Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und ich konnte mir die ungewöhnliche Blässe meines neuen Patienten erklären. Was ich allerdings noch nicht wußte, war, wie ein Vampir zu einer so quälenden Allergie kommen konnte? Aber auch hierfür hatte der Edle eine Erklärung. Sie werden staunen, Hochwürden! Indirekt waren Sie für jenen scheußlichen Ausschlag mitverantwortlich. Schauen Sie mich nicht so fassungslos an! Sie werden die Zusammenhänge gleich begreifen. Erinnern Sie sich noch an die Beerdigung unseres jungen Gerichtsschreibers, der diese hübsche junge Frau hinterließ?
Also, an dem Tag als Sie den jungen Mann beerdigten, geschah folgendes:
Mein Patient hatte gehört, daß eine bildhübsche junge Frau Witwe geworden war. Auch Vampire sind neugierig! Er beschloß daher, ungesehen an der Beerdigung teilzunehmen, um einen Blick auf die Witwe werfen zu können. Zu diesem Zweck ließ er die Deckplatte seines Grabes einen größeren Spalt offen, als dies sonst seiner Gewohnheit entsprach.
Nun geschah das Mißgeschick mit dem Weihwassergefäß! Sie werden sich gewiß daran erinnern, Hochwürden. Einer Ihrer jungen Meßknaben schwenkte es derart kräftig hin und her, daß die Kette an der einen Seite riß, gerade in dem Augenblick, als der Trauerzug am großen Grabmal vorbeikam. Durch den geöffneten Spalt schwappte ein großer Teil des Weihwassers in das Grab und traf den Vampir auf beide Arme und Beine. In seiner Aufregung konnte der Untote sein Handtuch nicht schnell genug finden, um das gesegnete Wasser abzuwischen. Es brannte wie Höllenfeuer auf seiner Haut.
Sie müssen wissen, Hochwürden, auch wenn Herr von Grauenstein ein sehr höflicher und freundlicher Vampir ist, so sind ihm die
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