Untitled
hier. Nur mühsam konnte er sich daher ein Lächeln abringen.
Der Vampir hatte sich in der Zwischenzeit so weit erholt, daß er sich wieder aufrichten konnte. Er streckte sich mehrmals und stellte fest, daß es an der Zeit war, sich auf den Heimweg zu begeben.
Zuvor bedankte er sich überschwenglich für die wundersame Rettung. Er verbeugte sich vor der alten Dame, verabschiedete sich von den Herren und schritt zum Ausgang.
„Moment", rief der Doktor, „ich will nur nachschauen, ob die Luft rein ist." Er öffnete die Haustür und spähte in alle Himmelsrichtungen. Es nieselte noch immer! Ein eisiger Windhauch peitschte in die warme Diele. Der Vampir zog das Cape fester um seinen hageren Körper, um rasch in die Finsternis einzutauchen.
Der Arzt verabschiedete sich ebenfalls. Ihn fröstelte, als er in seinen Wagen stieg. Bei dem Gedanken an die ungemütliche Atmosphäre, die ihn zu Hause erwartete, fror ihn noch mehr.
Das alte Vehikel hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als die Tür auf der Beifahrerseite aufgerissen wurde und seine Schwester sich neben ihn auf den Sitz fallen ließ.
„Was machst du denn hier?" fragte er völlig konsterniert.
„Das wollte ich dich auch gerade fragen", erwiderte das Fräulein giftig. „Hast du einen schönen Nachmittag verbracht? Deine Freundin scheint ja eine besonders vielseitige Person zu sein! Wer war denn dieser junge Mann in dem schwarzen Cape, der vor dir das Haus verlassen hat? Die alte Schachtel macht wohl vor der Jugend ebensowenig halt wie vor alternden Gigolos ...? Aber das eine sage ich dir, lieber Bruder: Eurem unmoralischen Lebenswandel werde ich ein für allemal ein Ende setzen!"
Die alte, vom Leben so enttäuschte Jungfer vergaß fast das Luftholen. „Morgen gehe ich zu unserem Herrn Pfarrer, das schwöre ich bei allen Heiligen. Dann sollst du mal sehen, was geschieht. Ich werde dafür sorgen, daß du und dein Liebchen exkommuniziert werdet!"
Der Doktor, der zunächst ratlos über diesen wütenden Ausbruch war, konnte sich eines Schmunzelns nicht erwehren. Soll sie nur an ein Techtelmechtel zwischen Madame und mir glauben, dachte er. Und wenn sie morgen wirklich zu Hochwürden geht, so kann ich mir jetzt schon vorstellen, wie schwer es ihm fallen wird, den nötigen Ernst zu wahren.
„Tu, was du nicht lassen kannst", erwiderte er gelassen, was seine Schwester in noch größeren Zorn versetzte.
Nach einer rasanten Kehrtwendung kam das alte Gefährt vor dem Haus des Arztes zu stehen. Der Doktor ließ seine Schwester aussteigen. „Kommst du etwa nicht mit?" fauchte sie ihn an.
„Versäume ich denn etwas? Der Kühlschrank ist leer, du führst dich auf wie eine Furie ... Da gehe ich doch lieber gleich ins Gasthaus, um etwas Ordentliches zu Abend zu essen. Außerdem", so konnte er sich nicht verkneifen zu bemerken, „war die Torte meiner Freundin vorzüglich!"
Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände.
Fröhlich hupend fuhr der Doktor davon.
VII.
Einige Tage vergingen.
Das Fräulein machte nach langem Überlegen ihre Drohung endlich wahr und suchte Hochwürden auf. Ihre ungeheure Unterstellung über das angebliche Liebesleben des Bruders und seiner Nachbarin ließ den Geistlichen nur mit Mühe die Fassung bewahren. Trotzdem hörte er aufmerksam zu. Als er das Fräulein nach Beweisen für den von ihr geschilderten unmoralischen Lebenswandel fragte, erzählte sie ihm von jenem Tag, als sie dem Bruder vor dem Haus der alten Dame aufgelauert hatte.
„Ach!" Hochwürden war erstaunt. „Zufällig war auch ich an diesem verhängnisvollen Nachmittag anwesend!" Bequem lehnte er sich in seinem Sessel zurück und wartete, vergnügt in sich hineinlächelnd, auf die vorauszuahnende Reaktion der ihm nicht eben sympathischen Dame, die ihm gegenüber saß.
„Sie auch!" rief diese auch schon höchst empört. „Nein! Das hätte ich nun wirklich nicht gedacht. Mein Bruder ... Gut! Der junge Mann in dem schwarzen Cape ..."
Hier wurde der Geistliche aufmerksam. Wieviel von der ganzen Geschichte wußte oder ahnte das Fräulein? Er mußte es herausfinden. „Also, was den Unbekannten angeht", fuhr sie fort, „das lasse ich mir ja noch gefallen! Aber Sie, Hochwürden! Das ist ja das Unglaublichste, was ich je gehört habe! Aber ich habe ja schon immer gewußt, daß diese Person mit allen Wassern gewaschen ist. Ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, daß unser Dorf sauber
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