Untitled
ihm sonst so eigene Höflichkeit beizubehalten. „Wie spät ist es?" brachte er nach mehreren Anläufen mühsam hervor.
„Viertel sechs! Aber draußen ist es noch zu hell, als daß Sie es jetzt schon wagen könnten, Ihre Gruft aufzusuchen", erwiderte Hochwürden besorgt. „Aber bitte, sagen Sie uns, was ist das für eine Unruhe, die Sie von einer Ecke in die andere treibt? Vielleicht sollte Ihnen unsere Freundin Baldriantropfen verabreichen?"
„Baldriantropfen! Blut brauche ich ! Verzeihen Sie, meine Freunde, aber die Entziehungserscheinungen fangen an, mich mürbe zu machen. Es ist wie eine Sucht. Mit Intellekt und logischem Verstand ist da nicht mehr viel zu machen", stieß der Vampir hastig hervor. Glühend richteten sich dabei seine Blicke auf die alte Dame, der eiskalte Schauer über den Rücken liefen.
„Um des Himmels willen, Hochwürden! Wenn er jetzt nur nicht beißt", flüsterte sie ängstlich.
„Und ich habe mit Rücksicht auf ihn nicht einmal mehr mein Kreuz um", wisperte der Geistliche entsetzt.
Der Vampir war wieder in dumpfes Brüten verfallen, hin und wieder gierige Blicke um sich werfend. Zusammengesunken saß er auf seinem Lager.
„Wie entsetzlich blaß er ist", diagnostizierte der Arzt trocken. „Wo bekommen wir jetzt nur eine Blutkonserve her? Er sieht hochanämisch aus." Der Doktor blickte besorgt auf Herrn von Grauenstein, der sichtliche Mühe hatte, den Kopf aufrecht zu halten.
„Was heißt anämisch, Herr Doktor?" Wißbegierig schaute Madame den Arzt an.
„Blutarm, Liebste! Und wenn wir diesen Zustand nicht bald ändern, dann kann und will ich für nichts mehr garantieren!"
„Es muß etwas geschehen", murmelte der Geistliche. „Bei einem gläubigen Katholiken würde ich jetzt beten! Was aber tue ich bei einem Vampir?"
„Ich hab's, rief die kleine Dame. „Als wirksames Mittel bei Blutarmut gilt geschlagenes Ei mit Rotwein. Ich will es gleich für unseren Freund bereiten!" Schon stürmte sie die Kellertreppe hinauf zur Küche, und bald hörten Priester und Arzt das monotone Schlagen des Schneebesens.
Nach wenigen Minuten stieg die reizende alte Dame, vorsichtig ein mit Schaum gefülltes Glas in der Hand balancierend die Kellertreppe wieder hinunter.
Der Zustand des ungewöhnlichen Patienten hatte sich zusehends verschlechtert. Ängstlich setzte sich Madame zu ihm auf das improvisierte Lager. „Herr Doktor! Wären Sie wohl so freundlich, den Kopf unseres Freundes zu stützen, damit ich ihn füttern kann?" Der Arzt setzte sich hinter den schwächlichen Blutsauger und stützte dessen matten Rücken.
„Jetzt machen wir schön den Mund auf und dann sollen Sie mal sehen, lieber Herr von Grauenstein, wie Ihnen das hier gut tun wird", sprach sie liebevoll auf den Vampir ein, den trotz seiner großen Schwäche ein wohliges Gefühl von Geborgenheit überkam. Er ließ sich anstandslos füttern, um die liebevolle Besorgnis seiner Freunde nicht noch zu steigern. Große Hoffnung allerdings setzte er in dieses scheußliche Gebräu nicht. Um so größer war sein Staunen, nachdem er die drei ersten Löffel der undefinierbaren Flüssigkeit hinuntergewürgt hatte, daß sein Geist anfing, sich zu beleben. Alles um ihn herum nahm wieder Gestalt an. Die verschwommenen Bilder verschwanden nach und nach. Die Wirkung war frappierend, ähnlich der einer Blutkonserve. Seine Freunde hatten sich wirklich etwas einfallen lassen. Dankbar blickte er in die Runde.
„Na, mein Lieber? Die Medizin von Madame scheint wirklich Wunder gewirkt zu haben", stellte der Doktor neidisch fest. Daß er bezüglich seinen medizinischen Weisheiten keine Lösung anzubieten hatte, behagte ihm ganz und gar nicht, und Hausmittel jeglicher Art verabscheute er zutiefst. Obwohl sonst eher konservativ in seiner Lebensauffassung, vertraute er doch blind all jenen chemischen Wundermittelchen, die tagtäglich in Form von Ärztemustern seine Praxis überschwemmten. Es war ein offenes Geheimnis, daß er aus diesem Grunde nicht selten den Unmut seiner älteren Patienten hervorrief. Er verschrieb ihnen zwar die wunderschönen bunten Pillen und Kapseln und wußte dabei doch ganz genau, daß diese zu Hause in Küchenschränken, Vit rinen oder Abflüssen verschwanden. Allenthalben griff man wieder zu den altbewährten Hausmitteln. Und was noch schlimmer war: Der Erfolg blieb nur selten aus! Der Doktor empfand es jedesmal sehr schmerzlich als persönliche Niederlage. So auch
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