Untitled
verdorben!" Madame flüsterte, obwohl sich außer ihnen niemand im Raum befand. Der Priester empfahl sich und ging unsicheren Schrittes hinüber in sein Haus.
Durch die heilsame Wirkung der Rumtopfköstlichkeiten war er wunderbar entspannt und merkte nicht, daß ihn seine sonst so tranige Haushälterin mit sehr wachen Augen beobachtete. Und dieses schon seit mehreren Tagen!
Trani hatte am letzten Markttag einen ausführlichen Schwatz mit dem Fräulein gehalten, wobei sie im Verhalten ihrer Arbeitgeber gewisse Parallelen zu entdecken glaubten. Trani konnte jedoch die Ansicht über einen unmoralischen Lebenswandel von Madame, Hochwürden und dem Arzt nicht teilen. Vielmehr vermutete sie, daß dieser unheilvoll wirkende Brief als Schlüssel zum Geheimnis anzusehen war.
„Weißt du", sagte sie gewohnt langsam zu ihrer ehemaligen Schulkameradin, „Hochwürden hat an dem Tag, als du bei ihm warst, jenen merkwürdigen Brief bekommen. Anstelle des Absenders war nur eine Krone darauf. Sehr verdächtig, nicht wahr? Zumal wir hier seit dem Aussterben derer von Grauenstein keine adligen Mitbewohner mehr haben!"
„Hochwürden auch?" rief die andere aufgeregt. „Ich habe einen ähnlichen Umschlag gestern, als ich die Papierkörbe in der Praxis leerte, gefunden."
„Merkwürdig, merkwürdig", brummte Trani lahm.
„Ich sag's ja! Die werte Nachbarin deines Herrn Pfarrers macht vor nichts halt, um so attraktiv wie möglich zu erscheinen! Jetzt verschickt sie schon Briefpapier mit Kronen. Die hält sich wohl für etwas Besseres? Aber meinen Bruder kriegt sie trotzdem nicht", regte sich das Fräulein auf.
„Jetzt mach aber halblang", ereiferte sich Trani. „Auf Madame Vanille lasse ich nichts kommen. Du bist ja nur eifersüchtig.
Das Fräulein war überrascht. „Sag mal", versuchte die Schwes
ter des Arztes einzulenken, „hast du jemals diesen gutaussehenden jungen Mann in dem schwarzen Cape gesehen, der an dem Nachmittag nach dem Kaffeekränzchen aus dem Hause eurer Nachbarin kam?"
Neugierig starrte Trani sie an.
„Einen gutaussehenden Mann? Laß mal überlegen!" Die Haushälterin überlegte. Aber nein! In den letzten 35 Jahren, die sie nunmehr treu bei Hochwürden im Dienst stand, hatte sie nie einen hübschen Mann gesehen.
„Nein." Sie schüttelte nachdenklich den Kopf.
„Na ja", giftete das Fräulein. „Ist ja auch kein Wunder. Bevor du hinschaust, sind die besten Männer immer schon wieder verschwunden."
„Besser so, als daß man mir nachsagte, ich sei eifersüchtig bis aufs Blut und würde anderen nicht das kleinste bißchen Vergnügen gönnen, so wie du! Stimmt's?"
Sie drehten einander abrupt den Rücken zu und verschwanden in entgegengesetzten Richtungen!
Beide hatten gute Vorsätze! „Mit der anderen rede ich niemals mehr auch nur ein Wort!" – „Es bleibt nichts mehr unbeobachtet, was den Doktor, Hochwürden und Madame angeht!"
„Vielleicht", so grübelten beide unabhängig voneinander, „sollte man die drei Freundinnen der alten Dame aufsuchen. Vielleicht haben die etwas Verdächtiges bemerkt!"
Die Vorhaben wurden sogleich in die Tat umgesetzt.
Beide Frauen strebten nach einer Kehrtwendung einem neuen, diesmal gemeinsamen Kurs entgegen. Es war zwangsläufig, daß sie sich an der nächsten Ecke wieder in die Arme liefen. Böse Blicke wanderten hin und her. Ein gepreßtes „du auch!" folgte.
Einträchtig, was blieb ihnen auch anderes übrig, gingen sie die letzten paar Meter zu den nebeneinander aufgereihten Häuschen der Freundinnen von Madame. Sie schellten bei Eulalia. Zwölf Uhr war vorbei, deshalb waren sie sehr erstaunt, als ihnen eine verschlafene, noch in einem Morgenmantel gekleidete Dame öffnete, die keineswegs erfreut über den für sie zu frühen, dazu noch unangemeldeten Besuch schien. Nur widerwillig besann sie sich auf die nötigsten Höflichkeitsfloskeln und ließ die beiden Besucherinnen zögernd eintreten.
„Entschuldigen Sie bitte, liebe Frau Eulalia, daß wir Sie so einfach überfallen. Aber es handelt sich um eine äußerst delikate Angelegenheit!"
Neugierig und plötzlich mit sehr wachem Blick, führte Eulalia die zunächst so unwillkommenen Frauen in ihren eleganten Salon.
„Bitte, nehmen Sie doch Platz", forderte sie die Gäste mit einer Spur überheblicher Arroganz auf, die ihr der angeborene Standesdünkel auftrug – immerhin war sie die Tochter eines Diplomaten! Auf
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