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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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schaurige Geheul, nur schien es Madame diesmal weniger furchterregend als vielmehr anklagend zu sein.
      Das arme Tier, dachte sie, aber für ein Tierheim scheint es wohl nicht in Frage zu kommen!
      Flieger ging unterdessen mit einem silbernen Tablett umher und reichte Sherry.
      „Wo Lord Simon nur bleibt", unterbrach Ihre Scheußlichkeit die Stille.
      „Oh! Sie erwarten Gäste aus England? Wie reizend", rief Madame Vanille. „Unser guter Doktor hat einige Semester in Cambridge studiert. Ist das nicht bezaubernd? Da hat er ja gleich einen Gesprächspartner!"
      „Gesprächspartner ...? Ach, ich weiß nicht so recht", meinte die Gräfin und lächelte bedeutungsvoll den beiden Vettern zu. „Aber sehen Sie selbst! Er scheint soeben eingetroffen zu sein!"
      Flieger stand an der geöffneten Tür und verkündete: „Lord Simon de Canterville, Eure Scheußlichkeit!"
      „Das Gespenst von Canterville! Ich werde verrückt! Das ist doch nicht möglich!" begeisterte sich der Arzt und ging dem zaghaft eintretenden Geist entgegen. Aber was mußte er sehen? Ein durch und durch trauriger Anblick bot sich ihm.
      Gewiß, in der Geschichte derer von Canterville waren unsere drei etwas bewandert. Selbstverständlich hatten sie das Buch gelesen – aber so hatten sie sich das Gespenst nicht vorgestellt! Ein mageres Etwas stand vor ihnen. Die kurzen Pluderhosen wurden von einem Gürtel gehalten, den es sich mehrfach um die Taille geschlungen hatte. Der Kragen seines Hemdes stand weit von dem dürren Hals ab. Sein deutlich sichtbarer Adamsapfel hüpfte aufgeregt hoch und runter. Die Augen quollen stark hervor, was ihm ein eher froschhaftes Aussehen verlieh.
      „Sieht mir fast nach einer Schilddrüsenüberfunktion aus", diagnostizierte der Arzt. Er trat dicht vor Lord Simon, schaute ihm kurz in die Augen und bat ihn dann, den Mund zu öffnen. „Bitte laut ,Aaah' sagen", befahl er in strengem Ton. Das Gespenst kam fassungslos jeder seiner Aufforderungen nach. „Mmh, Mmh", konstatierte der Doktor und tastete den Hals des erstaunten Lord ab. „Deutlich vergößerte Schilddrüse, mein Lieber! Sie sollten einmal zu mir in die Spechstunde kommen. Da könnte ich wesentlich mehr für Sie tun! Wenn Sie so weitermachen, dann werden Sie bald mit noch größeren Beschwerden zu rechnen haben! Wie sind Sie versichert?"
      Verdutzt ließ sich das Gespenst von Canterville in den nächstbesten Sessel fallen. Dankbar nahm er den Sherry, den ihm Flieger als Willkommenstrunk reichte.
      „Du hast uns ganz schön warten lassen, lieber Simon" bemerkte die Gräfin spitz.
      „Ach, Gruselchen", jammerte Canterville mit zittriger Stimme. „Du weißt doch, was einem bei Nacht alles passieren kann!"
      „Wir wissen es! Feige warst du schon zu Lebzeiten. Bedenke doch endlich, daß du längst tot bist und man dir so schnell nichts mehr anhaben kann!"
      Die Gräfin tätschelte, entgegen ihren Gewohnheiten, das spitze Knie des mageren Sir Simon.
      „Aber du weißt doch, wie sehr ich mich davor fürchte, des Nachts einem Gespenst zu begegnen", nörgelte Canterville und sackte in dem riesigen Fauteuil zitternd zusammen.
      „Wenn das so weitergeht, zittere ich mich noch zu Tode!"
      Graf Louis war inzwischen unbemerkt hinter Cantervilles Sessel getreten und ließ seinen Kopf vor dem zu Tode erschrockenen Lord kreisen.
      „Zu Hilfe! Zu Hilfe! Da siehst du, Gruselchen! Ein Gespenst!" schrie er aufgebracht und sprang in seiner unbändigen Angst der Gräfin auf den Schoß.
      „Nun stell dich nicht so kindisch an. Du blamierst mich ja vor meinen Gästen. Es ist doch nur Louis Arthur", ereiferte sich Ihre Scheußlichkeit und schob ihn zu Boden.
      „Louis! Du weißt ganz genau, daß ich das nicht mag", heulte Simon de Canterville. Louis Arthur – beziehungsweise sein Kopf – lachte, bis ihm die Tränen kamen. „Es war doch nur ein Spaß! Beruhige dich!"
      Nach den ersten Aufregungen war man allgemein bester Stimmung. Simon de Canterville hatte sich beruhigt und wieder in seinem Sessel Platz genommen.
      Mehrere Gesprächsgrüppchen hatten sich in der Zwischenzeit gebildet.
      Madame und die Gräfin tauschten Rezepte aus. Keine jedoch konnte mit den Vorschlägen der anderen etwas anfangen. Die Gräfin bevorzugte aber auch die merkwürdigsten Zutaten: gemahlene Mäusezähne, Krötenschenkel, Katzendreck und vieles andere mehr. Man könnte alles in jedem HKKB nachlesen. Madame runzelte die Stirn.

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