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Temperament!"
„Ja, früher! Aber schau ihn dir doch an! Er ist alt geworden und findet seine einzige Befriedigung darin, von älteren Damen gestreichelt zu werden! Dabei hatte er so entzückende Kinderchen! Und so blutrünstig waren sie", schwärmte Amalie Gruselia hingerissen.
„Und", fragte Madame vorsichtig, „wo sind die lieben Kleinen jetzt?"
„Ach, wissen Sie! Wir haben sie alle nach Transsylvanien geschickt. Seitdem unser Draci diese Schwierigkeiten mit seinen Zähnen hat, läßt er sie für sich jagen. Unser Wölfi reicht uns, wie Sie hören!"
Beruhigt lehnte sich die kleine Dame in ihrem Sessel zurück und meinte freundlich: „Vielleicht sollten Sie Wölfi hin und wie der einmal streicheln. Ich könnte mir vorstellen, er würde dann weniger jaulen!"
Ein giftiger Blick traf sie.
„Das ist mal wieder typisch Mensch! Ich bemühe mich, ein Rezept gegen die Liebenswürdigkeit zu finden, und Sie wagen es, mir zu raten, ich solle diverse Zärtlichkeiten verteilen. Aber, Verehrteste, das bestärkt mich nur in meinem Vorhaben. Dieses Rezept muß mir einfach gelingen", wütete die Gräfin.
„Welches deiner vielen Rezepte, mein Gruselchen?" fragte Sir Simon zitternd. Mit ihm hatte sie schon so manchen Unfug getrieben, und er legte keinen gesteigerten Wert darauf, wieder einmal Versuchskaninchen zu spielen.
„Wenn ich doch nur nicht so vergeßlich wäre", sinnierte Ihre Scheußlichkeit.
„Ich möchte auch kein zweites Mal als dieser ‚Sprichwörtliche' durch die Gegend geistern" brummte Graf Louis. „Wer würde sich dann noch vor mir erschrecken? Eine Karikatur meiner selbst wäre ich dann!"
„Da sprichst du ein wahres Wort, lieber Onkel", pflichtete ihm der Edle bei. „Dein letzter Spuk, mit oder ohne Ohren, war nicht gerade eine Glanzleistung!" Mit einer galanten Verbeugung schaute er die alte Dame erwartungsvoll an.
„Na, danke! Mir hat es völlig gereicht! Welch ein Glück, daß Sie, lieber Herr von Grauenstein, mich gerettet haben."
Madame schüttelte sich in der Erinnerung.
„Wissen Sie, unser guter Louis hätte sich damit begnügt, Sie vorsichtig zu streicheln! Schon zu Lebzeiten war es sein Pech, daß niemand auch nur den geringsten körperlichen Kontakt zu ihm pflegen wollte."
„Ich hab's ja immer gesagt: Er hätte sich doch einen anderen Kopf aus dem Korb raussuchen sollen", meldete sich der Transsylvanier zu Wort. „Vielleicht wären seine Chancen dann wenigstens als Geist besser gewesen."
„Und ich an deiner Stelle hätte Lotto gespielt, um mir ein besseres Gebiß leisten zu können", parierte Graf Louis böse.
„Sind sie nicht wirklich reizend zueinander?" warf die Gräfin erfreut ein. Ein wahrhaft teuflisches Leuchten huschte über ihr häßliches Gesicht. „Nun, ich hoffe, dieser Abend gefällt Ihnen, meine Lieben?" Sie wandte sich ihren Gästen zu.
„Wirklich ein reizender Abend, Eure Scheußlichkeit", antwortete Hochwürden allerdings nicht sehr überzeugend. Die beiden anderen kommentierten seine Antwort mit einem zaghaftstummen Kopfnicken.
„Es ist angerichtet!" Fliegers Erscheinen enthob unsere drei einer möglicherweise peinlichen Erklärung. Die Gastgeberin zu kränken, lag nicht in ihrem Sinn, doch das hätten sie aber mit ihren gespielten höflichen Antworten zwangsläufig getan.
Im Speisesaal, einem eher schmalen Raum, erwartete sie ein prachtvoll gedeckter Tisch. Wertvolles Porzellan auf schweren silbernen Platztellern, verziert mit der Krone derer von Grauenstein, stand in glänzendem Kontrast zu der düsteren, wenn auch mittlerweile nicht mehr ungemütlichen Atmosphäre. Große Leuchter, diesmal sogar mit brennenden Kerzen, vervollständigten die schöne Dekoration. Am oberen Ende der Tafel nahm die Gräfin Platz und forderte Madame auf, es ihr am unteren Ende gleichzutun.
Fürsorglich schob Flieger den hochlehnigen Stuhl zurecht. „Ich bin gespannt, ob das Essen dem Rahmen entspricht", flüsterte sie dem Geistlichen zu, der den Platz links von ihr einnahm, sie jedoch nicht verstand, weil die Abstände zwischen den einzelnen Plätzen riesig waren. Der Tisch bot normalerweise dreißig Leuten bequem Platz, heute waren sie nur zu acht. Diskrete Bemerkungen waren somit von vornherein ausgeschlossen.
„Sitzen Sie bequem?" schrie die Gräfin von ihrem Tischende den Gästen zu, worauf alle zustimmend nickten.
„Flieger, Sie können mit dem Servieren
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