Untitled
beginnen!"
Der Butler hatte seinen Frack gegen ein gestreiftes Dinnerjackett getauscht und kam der Aufforderung seiner Dienstherrin eifrig nach. Ein großes Tablett balancierend, schwebte er auf Madame zu.
„Hors d'œuvre variés", murmelte er. So wenig Flieger gegen Ecken lief, so häufig verfehlte er jedoch den Teller von Madame. Als sie sah, daß all die schönen Leckereien Gefahr liefen, auf dem Tischtuch oder auf dem Boden zu landen, griff sie Fliegers Handgelenk und führte ihn so auf den richtigen Weg.
„Danke verbindlichst", flüsterte er und wollte ihr eine Extraportion reichen.
„Ich danke sehr, lieber Flieger!" Madame beeilte sich, den Butler von seinem großzügigen Vorhaben abzubringen.
Nachdem alle ihre Vorspeise bekommen hatten, machte Flieger seine Runde mit dem Wein. Es vollzog sich das gleiche Ritual. Ohne Hilfestellung traf er nie das richtige Glas. Die Assistenz der alten Dame machte ihm sichtlich Spaß, und er genoß ihre fürsorgliche Betreuung.
„Wie soll das erst werden, wenn er mit der Suppe kommt?" fragte sie sich ängstlich.
Als könne sie Gedanken lesen, brüllte die Gräfin quer über den langen Tisch: „Wissen Sie, Teuerste, auf unseren Flieger lasse ich nichts kommen! Aber unser Wäscheverbrauch ist immer hoch!"
„Bis jetzt ging doch alles recht gut", schrie Madame zurück. „Bei mir ist kein einziger Fleck!"
„Wie das?" schallte es vom anderen Tafelende.
„Ich habe Fliegers Hand geführt! Da klappte alles wunderbar."
„Scheint mir durchaus praktisch zu sein, die Maßnahme", erwiderte die Gastgeberin fassungslos. „Auf diese Idee wäre ich niemals gekommen!"
„Das kann ich mir denken", murmelte Hochwürden, während er den ersten Bissen seiner Vorspeise zögernd zum Mund führte. Madame beobachtete ihn genau. Vorsichtig kaute er, doch dann entspannten sich seine starren Gesichtszüge, und er strahlte. „Schmeckt ausgezeichnet!" schrie er der Gräfin mit vollem Munde zu. Madame, von diesem Wunder noch nicht vollends überzeugt, rief neugierig: „Kann man diese Rezepte alle im Hexenkochbuch nachlesen?"
„Wo denken Sie hin", ereiferte sich Ihre Scheußlichkeit lautstark. „Derartiges zum Dinner zu mir zu nehmen, würde mir nicht einmal im Traum einfallen! Auch bei uns Geistern, ausgenommen natürlich unsere beiden Blutsauger hier, gilt der Grundsatz: „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen! Was davon bei uns noch vorhanden ist, versteht sich natürlich!"
Die drei Gäste aßen mit großem Appetit. Direkt mitleidig betrachteten sie die beiden Vampire, die sich an ihrer Blutsuppe gütlich taten.
X.
Sie waren gerade beim Dessert angelangt, als das jammervolle Gejaule von Wölfi in aufgeregtes Gebell überging.
„Was mag es nur haben, das arme Hündchen?" fragte Madame besorgt.
„Es klingt, als wären Unbefugte auf dem Gelände. Flieger, wir wollen unverzüglich nachschauen", rief die Gräfin hastig ihrem Diener zu.
„Sehr wohl, Eure Scheußlichkeit!"
Sofort ging er zur Kopfseite des Raumes und machte sich an der Holztäfelung zu schaffen, die wie von Geisterhand langsam zur Seite geschoben wurde, so daß mehrere Monitore zum Vorschein kamen.
„Stelle alle Kameras ein, Flieger! Ich will sehen, wer sich auf unser Gelände gewagt hat!" Die Gräfin kramte ihren Zwicker hervor.
Lord Simon war von seinem Sitz aufgesprungen und zitterte erbärmlich. „Ich sag's ja immer, Tante! Es gibt Gespenster!" Er heulte los und blickte hektisch in die Runde, um ein geeignetes Versteck zu finden.
„Sicher gibt es Gespenster! Sieh dich doch an, oder hast du jemals an deiner Existenz gezweifelt? Setz dich wieder hin und benimm dich. Dein theatralisches Getue geht mir entsetzlich auf die Nerven!" Die Gräfin war sichtlich böse.
Angstvoll rutschte Canterville die lange Lehne seines Stuhles entlang, bis er fast unter dem Tisch verschwand. Sein Zähneklappern war für alle deutlich hörbar.
Armer Sir Simon, dachte Madame mitleidig. Ob er diese Angst in alle Ewigkeit beibehalten muß? Ein wahrhaft grausiges Schicksal!
„Kamera eins abfahren", befahl die Gräfin und schaute auf die Monitorwand. „Nein, im Keller scheint sich niemand aufzuhalten!" Die unsichtbare Kamera schwenkte durch ein dunkles Gewölbe, in dem einige undefinierbare Gegenstände sichtbar wurden. Die kleine Dame konnte sie nicht deutlich erkennen und nahm ihr Lorgnon zu Hilfe. Jetzt nahmen die
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