Untitled
wirklich der Einbruch das Problem?«
Als Dusty mit den Beratungen angefangen hatte, hatte man die Opfer ›Fälle‹ genannt. Das war lange her; heute hießen sie Klienten oder sogar Kunden, Begriffe, die Dusty als ohne Mitgefühl empfunden und denen sie sich widersetzt hatte. Inzwischen verschwendete sie auf beide Bezeichnungen keine Gedanken mehr – wie ihre Klienten genannt wurden, schien ebenso belanglos wie die Katastrophen, die ihnen zustießen. Sie waren alle Opfer; sei es eines Einbruchs, eines Überfalls oder eines Verkehrsunfalls, solche Pannen waren einfach der Weg, über den Dusty von diesen schlecht gewappneten Menschen Kenntnis bekam. Und unter bestimmten Bedingungen konnte jeder schlecht gewappnet sein. Die Erfahrung, fand sie, hatte einen Profi aus ihr gemacht.
Sie tranken Tee im Wohnzimmer, und jede versank in einem Sitzsack, ein Manöver, das Mrs. Ransome inzwischen ziemlich gut beherrschte; in Dustys Fall war es jedoch eher ein Purzeln. »Sind die neu?« fragte Dusty und wischte sich etwas Tee von ihrem Trägerkleid. »Gestern war ich bei einer anderen Klientin, der Schwester von jemandem, der im Koma liegt, und sie hatte etwas Ähnliches. Nun, Rosemary, ich möchte, daß wir versuchen, dies alles gemeinsam durchzusprechen.«
Mrs. Ransome war sich nicht sicher, ob dies dasselbe hieß wie ›darüber zu sprechen‹. Das eine schien eine rigorosere, weniger indirekte Version des anderen, wobei die unterschiedliche Wortwahl für einen fruchtbaren Diskurs wenig Gutes ahnen ließ. »Besser strukturiert«, hätte Dusty gesagt, hätte Mrs. Ransome es gewagt, diesen Punkt anzusprechen – was sie nicht tat.
Mrs. Ransome beschrieb also die Umstände des Einbruchs und das Ausmaß ihres Verlusts, doch dies machte auf Dusty keinen besonderen Eindruck, weil die reduzierten Umstände, unter denen die Ransomes jetzt lebten – die Sitzsäcke, der Kartentisch und so weiter –, Dusty weniger als Mangel denn als Stil erschienen.
Auch wenn es hier ordentlicher war, entsprach es doch dem minimalistischen Erscheinungsbild, für das sie sich in ihrer eigenen Wohnung entschieden hatte.
»Wie sehr ähnelt dies dem, wie es vorher war?« fragte Dusty.
»Oh, wir hatten wesentlich mehr«, sagte Mrs. Ransome. »Wir hatten alles. Ein normales Zuhause.«
»Ich weiß, es muß Sie schmerzen«, sagte Dusty.
»Was muß schmerzen?« fragte Mrs. Ransome.
»Es. Es schmerzt Sie.«
Mrs. Ransome dachte darüber nach, doch ihr Stoizismus war lediglich eine Frage der Grammatik. »Oh. Sie meinen, ob ich mich verletzt fühle? Nun, ja und nein. Ich gewöhne mich allmählich daran, würde ich sagen.«
»Gewöhnen Sie sich nicht zu schnell daran«, sagte Dusty. »Geben Sie sich Zeit zu trauern. Ich hoffe, Sie haben geweint, als es passiert ist?«
»Ganz zu Anfang«, sagte Mrs. Ransome. »Aber ich bin schnell darüber hinweggekommen.«
»Und Maurice?«
»Maurice?«
»Mr. Ransome.«
»Oh… nein. Nein. Ich glaube nicht. Wissen Sie«, es war, als verriete sie damit ein Geheimnis, »er ist ein Mann.«
»Nein, Rosemary. Er ist ein Mensch. Es ist ein Jammer, daß er sich damals nicht hat gehenlassen. Alle Experten sind sich mehr oder weniger einig, daß man, wenn man nicht trauert und alles in sich zurückhält, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit irgendwann einmal an Krebs erkrankt.«
»O Gott«, sagte Mrs. Ransome.
»Natürlich«, sagte Dusty, »finden Männer es schwieriger zu trauern als Frauen. Würde es helfen, wenn ich mit ihm reden würde?«
»Mit Mr. Ransome? Nein, nein«, sagte Mrs. Ransome hastig. »Ich glaube nicht. Er ist sehr… schüchtern.«
»Trotzdem«, sagte Dusty. »Ich glaube, ich kann Ihnen helfen… oder wir können einander helfen.« Sie beugte sich vor, um Mrs. Ransomes Hand zu ergreifen, mußte aber feststellen, daß sie sie nicht erreichte, und strich statt dessen über den Sitzsack.
»Man sagt, man fühle sich vergewaltigt«, sagte Mrs. Ransome.
»Ja. Lassen Sie es heraus, Rosemary. Lassen Sie es heraus.«
»So fühle ich mich eigentlich nicht. Ich bin eher verblüfft.«
»Klientin verdrängt«, schrieb Dusty, als Mrs. Ransome die Teetassen wegräumte. Dann fügte sie ein Fragezeichen hinzu.
Als sie ging, schlug Dusty vor, Mrs. Ransome möge die ganze Erfahrung als Lernkurve verstehen, und daß die Kurve eventuell die Richtung einschlagen könnte (offensichtlich konnte sie mehrere Richtungen einschlagen), den Verlust ihrer Besitztümer als eine Art
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