Untitled
Befreiung zu sehen – ›Das Lilien-auf dem-Felde-Syndrom‹, wie Dusty es nannte. ›Du sollst nicht nach irdischen Schätzen verlangen‹, etwas in der Art. Dieser Gedanke war Mrs. Ransome schon früher gekommen, doch sie begriff trotzdem nicht sofort, was gemeint war, denn Dusty sprach von ihren Besitztümern als ›ihrem Kram‹, ein Wort, das, falls es Mrs. Ransome überhaupt etwas bedeutete, den Inhalt ihrer Handtasche beschrieb, Lippenstift, Puderdose etc. von denen sie in der Tat nichts verloren hatte. Doch als sie später darüber nachdachte, mußte sie sich eingestehen, daß sich alles leichter handhaben ließ, wenn man den ganzen Haufen – Teppiche, Vorhänge, Möbel und Ausstattungsgegenstände – unter dem Begriff ›Kram‹ zusammenfaßte. Dennoch handelte es sich nicht um ein Wort, das sie ihrem Mann gegenüber zu riskieren gedachte.
Um die Wahrheit zu sagen (auch wenn sie das Mrs. Ransome gegenüber nicht tat), gab Dusty diesen Rat sowieso nur halbherzig. Je mehr sie vom Lilien-auf-dem-Felde-Syndrom zu sehen bekam, desto weniger glaubte sie daran. Sie hatte einen oder zwei Klienten gehabt, die ihr erzählt hatten, ein schmerzhafter Einbruch habe ihnen einen Hinweis darauf gegeben, wie sie leben sollten und daß sie materiellem Besitz von nun an weniger Bedeutung zumessen, mit leichtem Gepäck reisen würden und so weiter. Sechs Monate später war sie zu einem Folgebesuch wiedergekommen und hatte sie sogar noch überladener vorgefunden als zuvor. Viele Menschen schafften es, auf manche Dinge zu verzichten, hatte Dusty entschieden; worauf sie nicht verzichten konnten war, sie zu kaufen.
Als Mrs. Ransome Dusty sagte, daß sie ihre Habseligkeiten nicht besonders vermißte, hatte sie die Wahrheit gesagt. Was sie jedoch vermißte – und das war schwerer in Worte zu fassen –, waren weniger die Dinge an sich als ihre speziellen Bahnen zwischen ihnen. Da war zum Beispiel der grüne Bommelhut, den sie nie getragen, aber immer auf den Flurtisch gelegt hatte, um sich daran zu erinnern, daß sie den Boiler im Badezimmer eingeschaltet hatte. Sie hatte den Bommelhut nicht mehr, und sie hatte den Tisch nicht, um ihn darauf zu legen (daß sie den Boiler noch hatte, mußte als Akt der Vorsehung betrachtet werden). Doch ohne den Bommelhut hatte sie den Boiler schon zweimal die ganze Nacht über angelassen, und einmal hatte Mr. Ransome sich die Hand verbrüht.
Auch er hatte Rituale, auf die er verzichten mußte. Er hatte zum Beispiel die kleine gebogene Schere verloren, mit der er die Haare in seinen Ohren schnitt – und das war nur der Anfang. Auch wenn er nicht besonders eitel war, hatte er doch einen kleinen Schnurrbart, der, wenn er sich selbst überlassen blieb, eine unangenehme Neigung zeigte, sich rötlich zu verfärben, eine Schattierung, die Mr. Ransome mit gelegentlichen Anwendungen einer Haartönung in Schach hielt. Diese kam aus einer uralten Flasche, die Mrs. Ransome vor Jahren an ihren Haarwurzeln ausprobiert und dann umgehend für sich verworfen hatte, doch die Flasche wurde noch immer hinten im Badezimmerschrank aufbewahrt. Indem er die Badezimmertür abschloß, bevor er die Tönung auf der entsprechenden Stelle auftrug, hatte Mr. Ransome niemals zugegeben, was er tat, und Mrs. Ransome wiederum hatte niemals zugegeben, daß sie es ohnehin wußte. Nur war der Badezimmerschrank jetzt verschwunden, und mit ihm die Flasche, und nach einiger Zeit nahm Mr. Ransomes Schnurrbart langsam jenen verräterischen Orangeton an, den er so abscheulich fand. Seine Frau zu bitten, eine neue Flasche zu kaufen, wäre eine Möglichkeit gewesen, doch das hätte bedeutet, jahrelange heimliche Kosmetikbehandlungen zuzugeben. Selbst eine Flasche zu kaufen wäre eine weitere gewesen. Doch wo? Sein Friseur war Pole, und sein Englisch reichte gerade aus für hinten und an den Seiten kurz;. Eine Drogerie, in der man Verständnis zeigte, vielleicht, doch sämtliche Drogerien, die Mr. Ransome kannte, zeigten alles andere als Verständnis; die Angestellten dort waren meist gelangweilte kleine Schlampen von achtzehn Jahren, von denen wohl kaum Mitgefühl mit einem Anwalt in mittleren Jahren und seinem schleichenden Rot erwartet werden durfte.
Unglücklich verfolgte Mr. Ransome das fortschreitende Erröten mit Hilfe von Mrs. Ransomes Puderdose, die jetzt als einziger Spiegel der Wohnung im Badezimmer deponiert war, und verfluchte die Einbrecher, die ihm eine solche Demütigung beschert hatten. Währenddessen sann Mrs.
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