Untitled
Doch zur gleichen Zeit, wie die hinter ihr liegende Tür sich schloß, öffnete sich mit einem sanften Hauch die vor ihr, und durch sie hindurch blickte sie auf einen weiteren Türrahmen, in dem oben eine Stange angebracht war, und an dieser Stange hing ein junger Mann.
Er sog sich scheinbar ohne große Anstrengung an der Stange hoch und nannte laut eine Zahl. Er trug eine graue Trainingshose und Kopfhörer, sonst nichts. Er war bei 11 angekommen. Mrs. Ransome wartete, immer noch den Brief hochhaltend und nicht ganz; sicher, wo sie hinschauen sollte. Es war lange her, seit sie jemandem, der so jung und so nackt war, so nahe gewesen war. Seine Hose war tief über die Hüften gerutscht, so daß sie die dünne blonde Haarlinie sah, die sich über seinen flachen Bauch zu seinem Nabel zog. Er wurde jetzt müde, und die beiden letzten Klimmzüge, 19 und 20, kosteten ihn große Mühe, und nachdem er »20« beinahe laut herausgeschrien hatte, stand er keuchend da, eine Hand immer noch auf der Stange, die Kopfhörer um den Hals gelegt. Er hatte einen feinen Schimmer von Haaren unter den Armen, und einen gerade erst beginnenden auf der Brust, und wie Martin hatte er ein Haarbüschel im Nacken, doch seines war länger und zu einem Knoten geschlungen.
Mrs. Ransome dachte, sie habe in ihrem ganzen Leben noch niemanden gesehen, der so schön war.
»Ich habe einen Brief mitgebracht«, fing sie von neuem an. »Er ist irrtümlicherweise bei uns angekommen.«
Sie hielt ihn ihm entgegen, doch er machte keine Anstalten, ihn zu nehmen; deshalb sah sie sich nach einem Platz um, wo sie ihn hinlegen konnte.
Mitten im Raum stand ein langer Refektoriumstisch, und an der Wand ein beinahe ebenso langes Sofa, doch dies waren die einzigen beiden Gegenstände im Zimmer, die Mrs. Ransome als ordentliche Möbel bezeichnet hätte. Überall verteilt gab es ein paar leuchtend bunte Plastikwürfel, von denen sie annahm, daß sie gelegentlich als Tische dienten, vielleicht auch als Hocker. Es gab eine hohe stählerne Pyramide mit Luftschlitzen, die eine ganz normale Lampe zu sein schien. Einen altmodischen Kinderwagen mit Weißwandreifen und riesigen, gebogenen Federn. An einer Wand hing ein Kummet und an einer anderen ein Kavaliershut und daneben ein ins Riesenhafte vergrößertes Foto von Lana Turner.
»Sie war ein Filmstar«, sagte der junge Mann. »Es ist ein Original.«
»Ja, ich erinnere mich«, sagte Mrs. Ransome.
»Wie, haben Sie sie gekannt?«
»O nein«, erwiderte Mrs. Ransome. »Außerdem war sie Amerikanerin.«
Der Boden war mit einem dicken weißen Teppich bedeckt, und sie stellte sich vor, daß darauf jeder Fleck zu sehen sein müsse, obwohl sie nirgends irgendwelche Flecken sehen konnte. Für Mrs. Ransome schien das alles nicht zusammenzupassen, dieser ganze Raum; und da eine der Wände aus Glas war und auf eine Terrasse hinausging, fühlte sie sich mehr an eine unfertige Schaufensterdekoration in einem Kaufhaus als an ein Wohnzimmer erinnert; ein Ballen Tweed, lässig über den Tisch geworfen, hätte dem Ganzen irgendwie einen Sinn gegeben.
Er sah, wie sie sich umblickte.
»Die Wohnung war schon in Zeitschriften abgebildet«, sagte er. »Setzen Sie sich«, und nahm den Brief.
Er saß an einem Ende des Sofas und sie am anderen. Er legte seine Füße hoch, und auch wenn sie ihre Füße hochgelegt hätte, wäre zwischen ihnen immer noch eine Menge Platz; gewesen. Er betrachtete den Brief, drehte ihn ein-, zweimal um, ohne ihn zu öffnen.
»Er kommt aus Peru«, sagte Mrs. Ransome.
»Ja«, sagte er und riß ihn mitten durch.
»Vielleicht ist er wichtig«, sagte Mrs. Ransome.
»Alles ist immer wichtig«, sagte der junge Mann und ließ die Stücke auf den Teppich fallen.
Mrs. Ransome sah seine Füße an. Wie alles andere an ihm, was sie sehen konnte, waren sie perfekt; die Zehen nicht gekrümmt und nutzlos wie ihre eigenen oder die von Mr. Ransome. Seine waren lang, kräftig und sogar ausdrucksvoll; sie sahen aus, als könnten sie im Notfall für die Hände einspringen und sogar ein Musikinstrument spielen.
»Ich habe Sie nie im Aufzug gesehen«, sagte sie.
»Ich habe einen Schlüssel. Dann hält er nicht in den anderen Stockwerken.« Er lächelte. »Das ist praktisch.«
»Nicht für uns«, sagte Mrs. Ransome.
»Das stimmt«, und er lachte, ohne beleidigt zu sein. »Außerdem bezahle ich extra.«
»Ich wußte nicht, daß man das kann«, sagte Mrs. Ransome.
»Kann man auch
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