Untitled
Kassette im Bücherregal hinter dem Band Der Große Salm, ein Versteck, wo er außerdem einen Vorrat an Fotos von irgendwelchen spießigen Beischlafakten aufbewahrte, ein Überbleibsel von einer unappetitlichen Scheidungsklage in Epsom, die er vor ein paar Jahren geführt hatte. Das Bücherregal war natürlich zusammen mit allem anderen nach Aylesbury gegangen, war aber intakt zurückgekehrt, das Versteck offensichtlich von Martin unentdeckt.
In Wirklichkeit war es ganz und gar nicht unentdeckt geblieben: Die Fotos waren es gewesen, über die er und Cleo auf der Kassette zuerst so gelacht hatten.
Die Schnappschüsse waren weder Martin ein Geheimnis geblieben, noch waren sie eines für Mrs. Ransome, die eines Nachmittags müßig das Bücherregal durchgesehen und sich gefragt hatte, was sie zum Abendessen kochen sollte. Dann hatte sie den Titel Der Große Salm gesehen und gefunden, er habe einen vagen kulinarischen Klang. Die Fotografien hatte sie unberührt wieder zurückgelegt, doch alle paar Monate oder so sah sie nach, ob sie noch da waren. Waren sie es, fühlte sie sich irgendwie beruhigt.
Und wenn Mr. Ransome jetzt manchmal in seinem Sessel saß und über Kopfhörer die Zauberflöte hörte, hörte er in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Während er geistesabwesend seine lesende Frau ansah, waren seine Ohren voll mit Martin und Cleo, ihrem Stöhnen und Schreien und wie sie es wieder und wieder und wieder miteinander trieben. Egal, wie oft er sich die Kassette anhörte, Mr. Ransome war immer wieder aufs neue verwundert. Wie zwei menschliche Wesen sich einander und dem Moment so vollständig und hemmungslos hingeben konnten, lag jenseits seines Verständnisvermögens: es erschien ihm wie ein Wunder.
Da er sich die Kassette so häufig anhörte, wurde er damit genauso vertraut wie mit einem Mozart-Stück. Er lernte Martins langes Atemholen als den Anfang vom Ende eines geheimnisvollen Übergangs kennen (Cleo war auf Händen und Knien, Martin hinter ihr), wenn das sehnsüchtige Andante (kleine Maunzlaute des Mädchens) sich zu einem stoßenden Allegro assai (heisere Schreie von ihnen beiden) beschleunigte, das seinerseits wiederum Platz machte für eine noch rasendere Coda, ein plötzliches Rallentando (»Nein, nein, noch nicht«, heulte sie, dann »ja, ja, ja«), gefolgt von Keuchen, Seufzen, Stille und schließlich Schlaf. Mr. Ransome war kein phantasievoller Mann, dennoch ertappte er sich bei dem Gedanken, daß, wenn man aus solchen Kassetten eine Bibliothek zusammenstellte, man ihnen die sexuelle Entsprechung des Köchelverzeichnisses zuordnen könnte. Vielleicht wäre es sogar möglich, die Entwicklung einer bestimmten Entwicklung beim Geschlechtsverkehr nachzuvollziehen – mit einer frühen, einer mittleren und einer späten Periode. Den ganzen Apparat Mozartscher Musikwissenschaft könnte man für diese neuen, derben Rhythmen adaptieren.
Solcherart waren Mr. Ransomes Gedanken, während er seiner Frau gegenübersaß, die es wieder einmal mit Barbara Pym versuchte. Sie wußte, daß er nicht Mozart hörte, auch wenn es wenige offenkundige Anzeichen gab und nichts so Vulgäres wie eine Beule in seiner Hose. Nein, lediglich Mr. Ransomes Gesicht hatte einen angespannten Ausdruck, ganz anders als sonst, wenn er seinen Lieblingskomponisten hörte. Jetzt zeigte es intensive Konzentration und das Gefühl, daß, wenn er nur genau genug zuhörte, er auf der Kassette etwas zu hören bekäme, was ihm bisher entgangen war.
Mrs. Ransome hörte sich die Kassette selbst gelegentlich an, doch da ihr die entsprechende Tarnung fehlte, beschränkte sie ihre Hörerfahrungen auf den Nachmittag. Sie holte ihre Haushaltsklappleiter und zog Der Große Salm heraus, griff dann dahinter nach der Kassette (die Fotos kamen ihr ebenso albern und lächerlich vor wie Martin und Cleo). Nachdem sie sich einen kleinen Sherry eingegossen hatte, machte sie es sich bequem, um ihnen beim Liebemachen zuzuhören, und wunderte sich auch nach mindestens einem Dutzend Anhörungen noch über Länge und Beharrlichkeit dieses Vorgangs und seinen wilden und wenig stilvollen Abschluß. Danach legte sie sich gewöhnlich auf das Bett und dachte daran, daß es dasselbe Bett war, auf dem das alles passiert war, und stellte sich wieder vor, wie es passierte.
Abgesehen von diesen im doppelten Sinne diskreten Epiphanien ging das Leben, nachdem sie ihre Habe wiedererlangt hatten, ziemlich genau so weiter wie zu der Zeit, bevor sie verlorengegangen
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