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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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Loreto 12
Vigàta

    Palermo, am 12. Februar 1892
    Hochverehrter Commendatore,
    mein immer noch einsitzender Mandant und Kollege Orazio Rusotto hat mich wissen lassen, daß Sie Mittheilungen über den Unbekannten zu haben wünschen, der vor ein paar Tagen in einer leerstehenden Wohnung in der Via delle Croci Nr. 5 gefunden wurde, da er befürchtet, daß es sich bei diesem um einen entfernten Verwandten von Ihnen handelt, der den Namen Calogerino Laganà trägt. Leider muß ich Ihnen mittheilen, daß sich Ihre Befürchtung als begründet herausgestellt hat. Aber ich habe gleichwohl auch das Vergnügen, Ihnen die freudige Nachricht geben zu können, daß Ihr entfernter Verwandter in Bälde aus dem Hospital entlassen wird, da er sich auf dem Wege der Besserung befindet. Er leidet zwar immer noch an rasenden Kopfschmerzen (man hat ihn mit zwanzig Stichen nähen müssen!) und an momentanem Gedächtnisverlust. Da strafrechtlich nichts gegen ihn vorliegt, kann er, sobald er das Hospital verläßt, nach Vigàta zurückkehren.
      Hinsichtlich der Abfolge der Dinge scheint er sich an Folgendes erinnern zu können: Da er sich geschäftlich in Palermo aufhielt, wollte er sich gerne mit einem Freunde treffen, den er schon seit Urzeiten nicht mehr gesehen hatte, und von welchem er wußte, daß dieser in der Via delle Croci Nummer 5 wohnte. Auf der ersten Etage angekommen, bemerkte er die weit offenstehende Thüre einer Wohnung und beschloß, dort einzutreten, um weitere Auskünfte zu erfragen. Kaum hatte er einen Fuß in die Wohnung gesetzt, traf ihn ein schwerer Schlag mit einem stumpfen Gegenstand am Kopfe, was sicherlich das Werk eines Einbrechers war, denn als Signor Laganà später im Hospital erwachte, mußte er verbittert feststellen, daß seine Brieftasche und alles, was er bei sich trug, verschwunden war.
      Signor Laganà grüßt Sie herzlich. Er hat weiter keinen Bedarf.
      Ich stehe Ihnen in jedem Falle weiter zur Verfügung.
      Der Freude darüber Ausdruck gebend, daß ich Ihnen dienlich sein konnte, wollen Sie bitte, hochverehrter Commendatore, meiner höchsten Achtung versichert sein.

    Nicola Zambardino

    G. NAPPA & G. CUCCURULLO Advokatenkanzlei – Via Trinacria 21 – Montelusa

    An den
    Hoch Geehrten Herrn
Filippo Genuardi
Via Cavour 20
Vigàta

    Montelusa, am 14. Februar 1892
    Sehr geehrter Herr,
    Sie haben sich schriftlich mit der Bitte an uns gewandt, diese Kanzlei möge in Ihrem Namen zwei Aufgaben von ziemlich unterschiedlichem Charakter übernehmen, die man jeweils gesondert erwägen muß.
      Die erste betrifft Ihren deutlich geäußerten Willen, den Rechtsweg wegen übler Nachrede gegenüber:
    a) dem Kommando der Kgl. Carabinieri von Vigàta;
    b) dem Pfarrer Don Cosimo Pirrotta von Vigàta;
    c) dem Signor Salvatore Sparapiano von San Volpato in den Madonie‐Bergen
    zu beschreiten.

    Zu Punkt a:
    Unserer Erinnerung nach ist noch nie ein Prozeß gegen eine Aussage der Kgl. Carabinieri angestrengt worden, weil diese mit äußerster Gewissenhaftigkeit im Rahmen der ihnen übertragenen Funktionen thätig sind.
      Der Prozeß, der für Sie aller Wahrscheinlichkeit nach einen negativen Ausgang nehmen würde, würde Sie zudem in ein schlechtes Licht rücken und in gewisser Weise den Verdacht

    erhärten, der auf Ihnen lastet, nämlich den der Zugehörigkeit zu subversiven Bewegungen.

    Zu Punkt b:
    Wenn der Pfarrer von Vigàta die Augen zum Himmel hebt und sich bekreuzigt, vollführt er damit keine außerhalb des Normalen liegende Handlung, vielmehr ist dies eine Art sich zu äußern wie jede andere. Ähnliche Verhaltensweisen sind Priestern, Nonnen und Mönchen gemeinsam, wie es Hunderttausende bezeugen könnten. Die Beziehung (das heißt, daß der Pfarrer diese Geste bei der Nennung Ihres Namens empört ausgeführt habe) ist vor Gericht nicht ohne weiteres beweisbar.

    Zu Punkt c:
    Der Firma des Signor Salvatore Sparapiano steht es absolut frei, ihre Ware an den zu verkaufen, an den sie will. Im vorliegenden Falle können die von Ihnen angeführten Gründe zwar fragwürdig, aber keineswegs verletzend sein. Ein Advokat der Gegenpartei könnte leicht nachweisen, daß die Wörter »Anarchist« und »Sozialist« nicht nothwendigerweise mit Dieb und Mörder gleichbedeutend sind.
      Letztendlich sind wir der festen Überzeugung, daß die drei Prozesse wegen übler Nachrede sich zweifellos gegen Sie selbst wenden würden.
      Unsere Kanzlei mag sich außerdem nicht für Prozesse einsetzen, die sie

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