Untitled
Graham. Der Reporter trug einen dunklen Anzug, ein Nadelstreifenhemd und eine Ripskrawatte. Er war der typische New Yorker Yuppi im Einsatz. Für Graham sahen die ganzen Arschlöcher von der Times und der Post gleich aus. Unter ihnen gab es keine richtigen Reporter mehr.
»Sie sind um diese Zeit ganz schön weit gefahren, Mr. Bayer, bloß um zu hören: kein Kommentar. Tut mir leid«, sagte Roger Graham. »Ich kann Ihnen nichts über die Entführung sagen. Ehrlich gesagt, es gibt nichts zu sagen.«
Es tat ihm nicht leid, aber wer wollte sich schon Feinde bei der New York Times machen? Diese Schweinehunde waren Giftspritzen, die einen fertigmachen konnten.
»Eine Frage, nur eine. Ich weiß, Sie brauchen nicht zu antworten, aber für mich ist das sehr wichtig. So wichtig, daß ich um ein Uhr morgens hier bin.«
»Okay. Bringen wir's hinter uns. Wie lautet Ihre Frage?« Graham machte die Tür seines Bronco zu. Er schloß ab, warf die Autoschlüssel in die Luft und fing sie auf.
»Seid ihr alle derart unglaubliche Schwachköpfe?« fragte ihn Gary Soneji. »Das ist meine Frage, Grahamkeks.«
Ein langes, scharfes Messer blitzte kurz auf. Dann wieder. Die Klinge fuhr über Roger Grahams Kehle.
Die erste Bewegung nagelte ihn an seinem Ford Bronco fest. Die zweite schlitzte seine Halsschlagader auf. Graham fiel auf seiner Einfahrt tot um. Er hatte keine Zeit gehabt, sich zu dukken, wegzulaufen, nicht einmal die Zeit, ein Gebet zu sprechen.
»Angeblich bist du ein Scheißstar, Roger. Du wolltest der Star sein, stimmt's? Dafür sehe ich keine Beweise. Null, nichts«, sagte Soneji. »Angeblich bist du um Klassen besser. Ich brauche die Herausforderung durch die Besten und Klügsten.«
Soneji bückte sich und steckte eine Karteikarte in die Brusttasche des weißen Hemdes von Agent Graham. Er tätschelte die Brust des Toten. »Hör mal, du arroganter Scheißer, würde denn ein Reporter der New York Times um ein Uhr morgens hierherkommen? Bloß um mit einer trüben Tasse wie dir zu reden?«
Dann fuhr Soneji weg vom Tatort. Der Tod von Agent Graham war für ihn keine große Sache. Im Grunde nicht. Er hatte vor ihm schon über zweihundert Menschen umgebracht. Übung macht den Meister. Und außerdem war es nicht das letzte Mal gewesen.
Aber dieser Mord würde alle aufwecken. Er konnte nur hoffen, daß in den Kulissen ein besserer Gegner wartete.
Wo blieb sonst der Spaß? Die Herausforderung? Wie könnte der Fall sonst eine größere Sache werden als die LindberghEntführung?
12. Kapitel
Die entführten Kinder setzten mir schon jetzt emotional zu. In jener ersten Nacht schlief ich schlecht und unruhig. In meinen Träumen stellte ich mehrere scheußliche Szenen in der Schule nach. Immer wieder sah ich Mustaf Sanders vor mir. Seine traurigen Augen starrten mich an, baten um Hilfe, die er von mir nicht bekam.
Als ich aufwachte, lagen meine beiden Kinder in meinem Bett. Irgendwann am frühen Morgen mußten sie an Bord geschlichen sein. Das ist einer ihrer Lieblingsstreiche, ein kleiner Scherz mit »Big Daddy«.
Damon und Janelle schliefen fest auf einer Steppdecke. Ich war in der Nacht zu kaputt gewesen, sie vom Bett zu ziehen. Wir müssen ausgesehen haben wie zwei schlafende Engel und ein umgefallener Ackergaul.
Damon ist ein schöner kleiner Junge von sechs Jahren, der mich immer daran erinnert, daß seine Mutter etwas ganz Besonderes war. Er hat Marias Augen. Jannie ist mein zweiter Augapfel. Sie ist vier, wird bald fünf. Sie nennt mich gern »Big Daddy«, was klingt, als wäre es ihr gelungen, einen schwarzen Slangausdruck zu erfinden. Vielleicht hat sie in einem anderen Leben den Footballstar »Big Daddy« Lipscomb gekannt.
Auf dem Bett lag außerdem William Styrons Buch Darkness Visible über seine Depression, in dem ich gelesen hatte. Ich hoffte, es könne mir Aufschlüsse geben, wie ich über meine Depression hinwegkam, die mich seit dem Mord an Maria quälte. Es waren jetzt drei Jahre, die mir wie zwanzig vorkamen.
Was mich an jenem Morgen tatsächlich weckte, waren Scheinwerfer, die über die Jalousien wanderten. Ich hörte, wie eine Autotür zufiel und das schnelle Knirschen von Füßen auf dem Schotter in der Einfahrt. Vorsichtig, um die Kinder nicht zu wecken, schlüpfte ich ans Schlafzimmerfenster.
Ich schaute auf zwei Streifenwagen hinunter, die hinter dem alten Porsche in unserer Einfahrt parkten. Draußen sah es jämmerlich kalt aus. Wir näherten uns dem Temperaturtiefstand im Winter von
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