Untitled
Einzelheit des bisherigen Flugs zu merken. Er hantierte geschickt und entspannt am Kontrollpult. Immer noch kein Anzeichen von Streß. Durch und durch ein Profi.
Eine seltsame mögliche Verbindung ging mir durch den Kopf. Wir waren jetzt in Florida, flogen weiter nach Süden. Ein kolumbianisches Drogenkartell hatte ursprünglich der Familie von Minister Goldberg gedroht. War das Zufall? Ich glaubte nicht mehr an Zufälle.
Eine Regel der Polizeiarbeit, vor allem der Polizeiarbeit in meinem Erfahrungsbereich, ging mir ständig durch den Kopf. Eine wichtige Regel. Fünfundneunzig Prozent der Verbrechen wurden aufgeklärt, weil jemand einen Fehler machte. Soneji hatte bis jetzt keinen Fehler gemacht. Er hatte uns keine Anhaltspunkte gegeben. Jetzt kam die Zeit, Fehler zu machen. Der Austausch war für ihn ein gefährlicher Zeitpunkt.
»Das ist alles mit viel Präzision geplant worden«, sagte ich zu dem Mann mit der Hutkrempe. Das Flugzeug glitt jetzt immer weiter über den Atlantik hinaus. Mit welchem Ziel? Zur Lösegeldübergabe im Austausch gegen Maggie Rose?
»Wie recht Sie haben. Alles ist so gut geordnet, wie es nur sein kann. Sie würden nicht fassen, wie gut wir die Sache im Griff haben.«
»Ist das kleine Mädchen auch wirklich unverletzt?« fragte ich ihn wieder.
»Ich hab's Ihnen doch gesagt, ich hab' sie heute morgen gesehen«, sagte er. »Ihr fehlt nichts. Ihr ist kein kostbares Härchen gekrümmt worden.«
»Es fällt mir schwer, das zu glauben«, sagte ich. Ich dachte daran, wie wir Michael Goldberg gefunden hatten.
Der Pilot zuckte die breiten Schultern. »Glauben Sie doch, was zum Teufel Sie wollen.« Es war ihm egal, was ich dachte.
»Michael Goldberg ist sexuell mißbraucht worden. Warum sollten wir glauben, daß das Mädchen unverletzt ist?« sagte ich.
Er schaute mich an. Ich spürte in den Eingeweiden, daß er nicht wußte, wie der kleine Goldberg zugerichtet worden war. Ich hatte das Gefühl, er sei kein Partner von Soneji, Gary Soneji habe gar keinen richtigen Partner. Der Pilot war als Helfer angeheuert worden, was hieß, wir hatten eine Chance, Maggie Rose zu retten.
»Michael Goldberg wurde nach seinem Tod geschlagen«, sagte ich zu ihm. »Er ist anal mißbraucht worden. Bloß damit Sie wissen, worauf Sie sich eingelassen haben. Wer Ihr Partner ist.«
Aus einem unerfindlichen Grund brachte das den Kontaktmann zum Grinsen. »Okay. Keine hilfsbereiten Hinweise und ärgerlichen Fragen mehr. Obwohl ich Ihre Sorge durchaus zu schätzen weiß. Genießen Sie den Flug. Das Mädchen ist weder geschlagen noch sexuell mißbraucht worden. Sie haben mein Wort als Gentleman.«
»Ach, sind Sie das? Wie dem auch sei, Sie können es nicht wissen«, sagte ich. »Sie haben sie seit heute morgen nicht gesehen. Sie wissen nicht, was Soneji auf sich allein gestellt angerichtet hat. Wie auch immer sein richtiger Name lautet.«
»Na ja, wir müssen alle unseren Partnern vertrauen. Lehnen Sie sich jetzt einfach zurück, und halten Sie die Klappe. Vertrauen Sie mir. Aus Personalmangel werden auf diesem Flug keine Getränke und Imbisse serviert.«
Warum war er so gottverdammt ruhig? Er war zu selbstsicher.
Hatte es vor dieser Entführung andere gegeben? Wenigstens war das etwas, was ich überprüfen konnte. Falls ich noch irgend etwas überprüfen konnte, wenn das hier vorbei war.
Ich lehnte mich einen Augenblick zurück und ließ den Blick nach unten wandern. Wir waren weit draußen über dem Ozean. Ich schaute auf die Uhr – bis jetzt etwas über eine halbe Stunde von Orlando aus. Die See sah kabbelig aus, trotz des strahlenden, sonnigen Wetters. Hin und wieder warf eine Wolke einen Schatten auf die steinern aussehende Wasseroberfläche. Der schwankende Umriß des Flugzeugs tauchte auf und verschwand. Das FBI verfolgte uns bestimmt mit Radar, aber das wußte der Pilot wohl auch. Er wirkte nicht beunruhigt. Es war ein furchterregendes Katz-und-Maus-Spiel. Wie würde der Kontaktmann reagieren? Wo waren Soneji und Maggie Rose? Wo sollte der Austausch stattfinden?
»Wo haben Sie fliegen gelernt?« fragte ich. »In Vietnam?« Ich hatte mir darüber Gedanken gemacht. Er wirkte im richtigen Alter, Mitte bis Ende Vierzig, obwohl er sich nicht gut gehalten hatte. Ich hatte Vietnamveteranen behandelt, die so zynisch geworden waren, daß sie sich an einer Entführung beteiligt hätten.
Die Frage verärgerte ihn nicht, aber er antwortete nicht.
Es war seltsam. Er wirkte immer noch nicht nervös oder
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