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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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wieder besuchen?« fragte Jezzie mich. Sie war so professionell wie Scorse, aber eine viel angenehmere Gesprächspartnerin.
    »Ja, kann ich. Er will mit mir sprechen. Vielleicht finde ich sogar heraus, warum er in Florida mich verlangt hat. Warum ich in seinem Alptraum der Erwählte war.«

    47. Kapitel
     
    Zwei Tage später schlug ich mich eine weitere Stunde lang mit Gary Soneji/Murphy herum. Ich hatte die letzten beiden Nächte damit verbracht, über Fälle von Persönlichkeitsspaltung nachzulesen. Mein Eßzimmer sah aus wie ein Arbeitsplatz in einer Psychologiebibliothek. Es gibt tonnenweise Literatur über Persönlichkeitsspaltung, aber die Fachleute sind sich über das Material nicht einig. Es ist sogar strittig, ob es überhaupt Fälle von Persönlichkeitsspaltung gibt.
    Gary saß auf seiner Krankenhauspritsche und starrte ins Leere, als ich kam. Die Armschlinge war verschwunden. Es war schwer herzukommen und mit diesem Kidnapper, Kindsmörder und Serienkiller zu reden. Ich erinnerte mich an einen Satz des Philosophen Spinoza: »Ich habe mich bemüht, über die Taten von Menschen nicht zu lachen und nicht zu weinen, sie nicht zu verabscheuen, sondern sie zu verstehen.« Bis jetzt verstand ich nichts.
    »Hallo, Gary«, sagte ich leise, weil ich ihn nicht erschrecken wollte. »Sind Sie bereit zu reden?«
    Er wandte sich um und wirkte froh, mich zu sehen. Er zog einen Stuhl für mich an die Pritsche heran.
    »Ich hatte Angst, die erlauben Ihnen nicht herzukommen«, sagte er. »Ich bin froh, daß sie es erlaubt haben.«
    »Weshalb haben Sie geglaubt, sie erlauben es mir nicht?« wollte ich wissen.
    »Ach, ich weiß nicht. Es ist nur … Ich habe das Gefühl, Sie sind jemand, mit dem ich reden könnte. Bei meinem Pech habe ich gedacht, die blocken sofort.«
    Er war von einer Naivität, die mich beunruhigte. Er wirkte fast charmant. Er war der Mann, den seine Nachbarn in Wilmington geschildert hatten.
    »Woran haben Sie gedacht? Jetzt eben?« fragte ich. »Ehe ich Sie gestört habe.«
    Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht mal. Woran habe ich gedacht? Oh, jetzt fällt es mir wieder ein. Ich habe daran gedacht, daß ich in diesem Monat Geburtstag habe. Mir geht ständig durch den Kopf plötzlich aufzuwachen und das alles ist vorbei. Das ist ein ständig wiederkehrender Gedanke, ein Leitmotiv in meinem Denken.«
    »Sagen Sie mir, woran Sie sich erinnern. Erzählen Sie mir noch einmal, wie Sie festgenommen worden sind«, sagte ich, das Thema wechselnd.
    »Als ich zu mir kam, saß ich in einem Polizeiauto vor einem McDonald's.« Auf diesem Punkt beharrte er. Er hatte mir vor zwei Tagen dasselbe erzählt. »Meine Arme waren auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt. Später haben sie mich auch an den Beinen gefesselt.«
    »Sie wissen nicht, wie Sie in das Polizeiauto gekommen sind?« fragte ich. Junge, Junge, das machte er gut. Leise, angenehm, glaubwürdig.
    »Nein, und ich weiß auch nicht, wie ich zu einem McDonald's in Wilkinsburg gekommen bin. Das ist das Unheimlichste, was mir je passiert ist.«
    »Das kann ich verstehen.«
    Auf der Fahrt von Washington hierher war mir eine Theorie durch den Kopf gegangen. Sie war weit hergeholt, aber vielleicht erklärte sie etliches, was bis jetzt für mich keinen Sinn ergab.
    »Ist Ihnen je zuvor etwas Ähnliches passiert?« fragte ich. »Auch nur vage ähnlich, Gary?«
    »Nein. Ich habe noch nie Scherereien gehabt. Bin noch nie festgenommen worden. Das können Sie überprüfen, nicht wahr? Natürlich können Sie das.«
    »Ich meine, sind Sie schon mal an einem fremden Ort aufgewacht? Ohne eine Ahnung zu haben, wie Sie dorthingekommen sind?«
    Gary bedachte mich mit einem merkwürdigen Blick, den Kopf leicht schiefgelegt. »Warum fragen Sie das?«
    »Haben Sie das schon mal erlebt, Gary?«
    »Na ja … ja.«
    »Erzählen Sie mir davon. Erzählen Sie mir davon, wie Sie an einem fremden Ort aufgewacht sind.« Er hatte die Angewohnheit, sich am Hemd zu zupfen, zwischen dem zweiten und dritten Knopf. Er zog den Stoff von der Brust weg. Ich fragte mich, ob er Angst habe, keine Luft zu bekommen, und woher diese Angst kam, falls es so war. Vielleicht war er als Kind krank gewesen. Oder irgendwohin geraten, wo es wenig Luft gab. Oder irgendwo eingesperrt worden – wie Maggie Rose und Michael Goldberg eingesperrt worden waren.
    »Im letzten Jahr, vielleicht auch länger, habe ich unter Schlaflosigkeit gelitten. Ich habe das einem der Ärzte gesagt, die mich

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